Hurra, die Medien sind tot!

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Die Anzeichen häufen sich. Die Medien sind tot. Nach langem und kläglichem Dahinsiechen braucht sie jetzt niemand mehr. Niemand weint ihnen auch nur eine Träne nach. Warum auch. Endlich kann jeder seine Botschaften im Netz verbreiten. Jeder kann schreiben. Jeder kann seine Meinung kundtun. Wer am lautesten schreit, gewinnt. Wer am meisten zuspitzt, kann sich seiner Leser gewiss sein. Wer am lautesten in die Social-Media-Kanäle hinein plärrt, bekommt auch eine ebenso laute und deutliche Antwort von der empörten Masse.
Das Zeitalter der Subtilität und der leisen Zwischentöne, falls es dieses jemals wirklich gegeben hat, ist damit endgültig vorbei. Sinnlichen Themen wurde die Sinnlichkeit nachhaltig und dauerhaft ausgetrieben. Erotik ist zu Pornographie geworden. Das Verborgene und Geheimnisvolle wird grell ausgeleuchtet, nicht nur in diesen Filmchen. Dieser mangelnde Respekt und diese fehlende Distanz können als Zeitdiagnose schlechthin herhalten. Leise wird laut, subtil wird explizit, differenziert und komplex wird zu evident und deutlich.
Kein Wunder somit, dass die Medien eines langsamen und qualvollen Todes gestorben sind.
Wer Medien dabei lediglich als Print-Medien interpretiert, liegt falsch. Der Begriff Medium muss viel allgemeiner, von seinem ursprünglichen Wortsinn her gefasst werden. Das lateinische Wort „Medium“ bedeutet Mitte oder Mittelpunkt. Mit esoterischen Diskursen lässt sich das „Medium“ außerdem als Mittler und Vermittler zu einer anderen, vermuteten Welt im Jenseits denken. Das „Medium“ ist auch ein stofflicher Vermittler. So ist Luft der vermittelnde Stoff um Schall zu übertragen.
Auf den Punkt gebracht lässt sich daher davon ausgehen, dass das „Medium“ sowohl als die Mitte als auch als eine Vermittlung betrachtet werden kann. Ein Medium, egal ob in Printform oder im Online-Bereich, hat die Aufgabe Informationen zu bündeln, deren Mitte und deren Essenz zu finden und aufzubereiten. Der für Medien arbeitende Schreibende hat eine Art „Gatekeeper-Funktion“. Er selektiert, unterscheidet, ordnet, beurteilt, bewertet.
Gibt es diese Rolle nicht mehr, dann ist der Damm gebrochen und Information gelangt, mehr oder weniger, ungefiltert an den Rezipienten. An sich ein guter Schritt, doch eine Überforderung, eine Überschwemmung mit Informationen, die kein Wissen mehr bilden und erst recht nicht mehr zu Bildung im klassischen Sinne führen. Das immer stärker werdende rauschen der Informationen lässt immer weniger Zeit, sich tiefer mit Themen zu beschäftigen. Dieses „Rauschen“ informiert, doch lässt ratlos und ohne Verständnis zurück.
Wir können somit den Tod der Medien prognostizieren. Wir können ihn sogar bejubeln. Ähnlich wie Nietzsche den Tod Gottes ausgerufen hat, sich aber bewusst war, dass dieser Tod und die damit entstehende Leere auch zu immensen Krisen führen wird. Wenn das Zentrum, die Essenz und das Eigentliche fehlen, wird vieles erst möglich und denkbar. Aber das ist nur eine Seite des gesamten Phänomens.
Sterben die Medien dann bedeutet das zwar eine Potenzierung der Möglichkeiten für den Einzelnen. Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass eine immense Entwertung des einzelnen Wortes, der Gedanken und Meinungen damit einhergeht. Wenn jeder eine Meinung hat, wird die differenzierte und zum Nachdenken anstoßende Meinung nivelliert und ist Teil eines riesigen Meinungs-Stromes.
Es ist mehr als fraglich, ob die hier beschriebene Subtilität und die leisen Zwischentöne in diesem riesigen, ungefilterten Informationsstrom überleben. Dann hätten wir uns zu früh über den Tod der Medien gefreut. Wir hätten falsch vermutet, dass dieser Tod eine Emanzipation für den Einzelnen bedeutet. Wir wären dann nur Teil eines immensen, unüberschaubaren Diskurs-Geflechtes, indem alle Meinungen gleich viel Wert haben und letztlich wertlos werden. Es wäre ein Zeitalter des Gebrülls, in dem wir letzten Endes alle unsere Stimme verlieren würden.

Hier geht es zu den vorherigen Folgen der Kolumne "Kleingeist und Größenwahn"

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Ich stehe dieser Thematik sehr ambivalent gegenüber!
    Zum einen sehe ich ebenso eine Inflation der Meinung und des Wissens!
    Ohne Überspitzung möchte ich behaupten, dass eine Chance besteht, dass solch einzigartige Werke wie Goethes Faust heute auf einer der Millionen Internetseiten ein bescheidenes Dasein führen würde und in der Masse einfach nicht die verdiente Beachtung bekommen würde! – und nur die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschehen könnte ist schon erschreckend!
    Zum anderen finde ich, dass deine dargestellte Definition von Medium (sortieren, sammeln, vermitteln) noch nie größere Bedeutung hatte. Alle Wissenschaftsbereiche sind dermaßen komplex geworden und setze so viel Fachwissen voraus, dass sich nur mehr Experten eingehend damit befassen können… Damit es der Rest der Bevölkerung zumindest annähernd kann braucht es die Medien!
    Wieder ohne Überspitzung möchte ich hier behaupten, dass es für Darwin fast ein leichtes war auf die Gravitation zu kommen, wenn ich mir die heutige Physik ansehe…
    Darwin beschrieb die Schwerkraft, Einstein definierte sie neu, Heisenberg und andere zeigten, dass sie im Quantenbereich nicht existiert und heute stellt sie uns mit der dunklen Materie vor komplett neue Rätsel … natürlich musste es einen Darwin dafür erstmal geben und er hat jede Anerkennung dafür verdient, aber jede Wissenschaft hat sich schon so detailliert, dass nicht einmal der Diskurs zwischen Disziplinen ohne ein Medium möglich wäre!
    und als Folge dieser beiden Umstände sehe ich das Brüllen und die Ohrenschmerzen… Es besteht tatsächlich das Risiko, dass die Bedeutung dieser zwei Informationen auf eine Stufe gestellt werden:
    Das Higgs-Teilchen von im CERN nachgewiesen
    und
    Liebe Facebook Freunde ich hab nen nervigen Schluckauf… Higgs
    Durch diese Gefahr sehen sich Medien dazu gezwungen sich abzuheben, ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Die Medien mit wenig Selbstvertrauen brüllen und nerven und andere erkennen die Bedeutung ihrer selbst als Marke und passen ihre Lautstärke dementsprechend an. Denn das erschreckende und gleichzeitig wunderbare ist es, dass der Ton immer subjektiv wahrgenommen wird. Für manche ist der Schluckauf des Facebook Freundes tatsächlich wichtiger als irgendein Teilchen, das nur einige Millisekunden existierte! Genau das lässt sich eben schwer für manche Medien akzeptieren…
    Ich glaube also nicht, dass die Medien tot sind, sondern sich gerade aus der Asche graben und sich wie ein Neugeborenes manchmal noch in ihrem Selbstverständnis vergreifen. Also selbst wenn mich manchmal das Geschrei nervt tue ich es für mich als pubertäres Gehabe ab.
    Ob ich damit sagen will, dass es wieder leiser wird? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass unsere Welt mit jedem Tag an dem ein Forscher in sein Labor schreitet und eine Person in den sozialen Medien ihr Herz ausschüttet noch komplexer wird. Manchmal heißt die Lösung keine Meinung zu haben aka Ohrstöpsel, aber auf lange Sicht können uns nur gute Medien in die Zukunft führen!
    Patrick Berger

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