Als am vergangenen Dienstag in Brüssel die Bomben hochgingen und die ersten Schreckensmeldungen auf meinem Bildschirm auftauchten, war ich von meiner ersten Reaktion überrascht. Gleichgültigkeit! Ich musste genauer hinsehen, um zu erkennen, dass es sich nicht um die klassische Form der Gleichgültigkeit handelte. Vielmehr war es ein Rückzug, ein Wunsch nach Ruhe, nach Stille.
Vor meinen Augen lief ein Film ab, der mir allzu bekannt vorkam. Nur die Farben hatten sich geändert. Was kürzlich blau-weiß-rot war, war nun schwarz-gelb-rot. Statt „Je suis Paris“, stand nun „Je suis Bruxelles“ auf den Sujets. Doch die Botschaften waren die gleichen. Der Terrorismus hatte Europa ein weiteres Mal zutiefst erschüttert, Europa mitten ins Herz getroffen. Ein ganzer Kontinent steht in diesen Tagen zusammen, solidarisiert sich, nimmt Anteil an dem Leid der Opfer und Angehörigen, am Leid der mindestens 31 Toten und mehr als 270 Verletzten. Ich wünsche mir nur eines: endlich Ruhe!
Trotz meines sehnlichen Wunsches kontaktiere ich meine Autoren-Kollegen. Die geplanten Artikel, die an diesem Tag hätten veröffentlicht werden sollen, passen nicht mehr. Wir entschließen uns, meinem Wunsch nachzukommen und einen Tag lang zu schweigen. Auf allen Kanälen schalten wir ein Sujet mit der Aufschrift: „Um dem Hass sein Echo zu nehmen, muss man mit Stille antworten.“ Ich bin auch heute, zwei Tage nach den Geschehnissen, noch immer der festen Überzeugung, dass Ruhe und Stille probate Mittel gegen den Terrorismus darstellen.
Der IS und seine irren, selbsternannten Gotteskrieger müssen sich gegenseitig auf die Schulter geklopft und gefeiert haben, als sie die Schlagzeilen am Mittwoch Morgen gelesen haben. „Rache-Terror“, „Terrorismus trifft Europa Mitten ins Herz“, „Schwarzer Dienstag für Europa“, “Attacke auf das Herz Europas”, „Dunkelheit im Herzen Europas“ stand auf den Titelblättern der größten Tageszeitungen. Der IS hätte sich keine bessere PR wünschen können. Ein Kontinent versinkt in Angst und Panik und droht dabei sich selbst zu zerreißen.
Erst kürzlich entflammte eine rege Diskussion in der Medienbranche. Wie soll man mit aktuellen Themen wie der Flüchtlingskrise und dem Terrorismus umgehen? Welche Verantwortung tragen die Medien? Soll man Schreckensbilder zeigen und Täternamen nennen? Ich sage NEIN! Bitte hört endlich damit auf, Sekunden nach dem Attentat, weltweit Halbinformationen und Schreckensbilder zu verbreiten.
Selbst die belgische Staatsanwaltschaft musste eingreifen und die Medien darum bitten, nur bestätigte Informationen zu veröffentlichen. Denn es passierte, was heutzutage dank sozialer Medien und beschleunigter Kommunikation passieren muss, ein Info-Sturm fegte über den Kontinent und hinterließ nichts als wirre Köpfe, verunsicherte Menschen und Chaos. Damit sehe ich ein Ziel der Terroristen erreicht.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Medien über Selbstmorde nur sehr spärlich und vorsichtig berichten. Zu groß sei die Gefahr, dass Nachahmer dadurch angestachelt werden könnten. Auch sei es für die öffentliche Stimmung besser, wenn nicht jeder weiß, wie nahe und wie häufig jemand sein Leben aus freien Stücken beendet. Bei Selbstmordattentätern, sprich bei Selbstmördern die auch noch Unschuldige mit sich in den Tod reißen, sieht die Sache anders aus. Hier wird nicht nur berichtet, sondern gemutmaßt und wirkungsvoll getitelt.
Selbstverständlich haben Medienhäuser und Journalisten die Aufgabe zu informieren und zwar direkt, unmittelbar und im Idealfall vollständig. Doch was wäre, wenn in einem solchen Fall wirklich nur jene Leute, nämlich die geographisch betroffenen, informiert würden? Was wäre wenn anstatt Panik erst einmal Ruhe einkehren würde? Wenn nicht innerhalb von Sekunden Hashtags auf Twitter entstehen würden, auf denen Rechte ihre Kampfparolen dreschen und Linke ihr Gutmenschentum verteidigen.
Ich kann sie alle nicht mehr hören. Weder die Leute von der „Es-hat-nichts-mit-dem-Islam-zu-tun“-Fraktion, noch jene von der „Der-Islam-ist-an-allem-Schuld-deshalb-alle-raus“-Bewegung. Die Wahrheit liegt verdammt noch einmal irgendwo in der Mitte. Und kein Kopf ist so schlau und kein Herz ist so groß, dass dieses komplexe Gefüge auch nur ansatzweise verstanden werden könnte.
Ich habe mir für mich jedenfalls eine Lösung zurechtgelegt: Ich werde zukünftig schweigen. Zumindest in den ersten Stunden. Ich werde versuchen still zu sein. Ich werde versuchen den tragischen Ereignissen und dem Leid der Angehörigen wirklich Raum zu geben und Respekt entgegen zu bringen. Ich werde auch versuchen dadurch den Terroristen ihre Bühne zu nehmen. Denn ich bin mir in zwei Sachen absolut sicher: ein Terrorist wünscht sich nichts mehr, als Europa mitten ins Herz zu treffen und dort für Dunkelheit zu sorgen. Und er fürchtet nichts mehr, als die Stille. Die stille Anteilnahme am Leid der Opfer und das stille, unerschütterliche, bombensichere Hochhalten unserer Werte.
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