Warum sollte man auf die Idee kommen ein gefestigtes Land wie Österreich als gescheitert zu bezeichnen? Wenn man politikwissenschaftlich oder völkerrechtlich an diese Unterstellung herangeht, muss man diese ganz klar zurückweisen. Auch nach den Kriterien des „Fund for Peace“ wäre das absoluter Schwachsinn (Details, siehe Factbox am Ende). Aber zum Glück gibt es auch außerhalb von Wissenschaft und Forschung etwas, das man nicht außer Acht lassen kann. Manche nennen es Hausverstand, manche nennen es auch einfach Gespür. Und genau das ist es auch, was vielen Menschen in letzter Zeit das Gefühl gibt, dass in Österreich etwas ziemlich falsch läuft. Die Gesellschaft bröckelt an allen Ecken und Enden, das klassische Parteiengefüge erodiert schneller als Gedacht und der raue Ton schlägt immer öfter in grenzwertig-gewalttätigen Aktionismus um. Am Brenner fliegen bei einer Demonstration von linken Aktivisten die Steine und im Audimax wird von rechtsextremen Identitären Kunstblut verspritzt.
Doch das eigentlich erschreckende sind nicht solche Ausdrücke des Missfallens an sich, sondern viel mehr der Umgang mit solchen Vorfällen in unserer Gesellschaft. Wie verarbeiten wir Extremismus? Wie gehen wir mit Gewalt unter dem Deckmantel rechter oder linker Gesinnung um? Diese zwei Fragen sind gleichsam schnell, wie auch unzufriedenstellend beantwortet. Wir gehen gar nicht damit um! Bestes Beispiel dafür sind einmal mehr die sozialen Netzwerke, in denen außer Schwarz oder Weiß gar nichts mehr zu existieren scheint. Entweder ist man rechts oder man ist links. Versucht man eine einigermaßen reflektierte Mittelposition einzunehmen, ist man im Prinzip genau eines: das Arschloch vom Dienst! Eine solche Meinungsäußerung wird im schlimmsten Fall von beiden Seiten gleichzeitig gegeißelt. Für die „Linken“ ist man dann ein reaktionärer heimatverliebter Nazi, für die „Rechten“ ist man hingegen eine marxistische Zecke. Vernünftige Argumente, mit den wasserdichtesten Zahlen untermauert, zählen genau gar nichts mehr. Man hat entweder Schwarz oder Weiß zu denken, sonst hat man im gesellschaftlichen Prozess genau eines: Den Mund zu halten! So oder so ähnlich gestalten sich im Moment fast alle gesellschaftspolitischen Diskussionen, egal ob online oder beim Stammtisch im Wirtshaus.
Aufgrund dieser gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer Diskussion-Unkultur, muss man zwar noch nicht von einem gescheiterten Österreich sprechen, aber man kann viele Unbelehrbare und in ihrer Meinung Festgefahrene als gescheitert bezeichnen. Ich würde sogar so weit gehen und diese als „failed personalities“ abstempeln. Da hilft einfach kein Diskutieren mehr. Da helfen keine Argumente, da helfen keine Quellen. Da ist einfach alles nur mehr Lügenpresse. Trotzdem dürfen wir das nicht auf uns sitzen lassen und müssen uns wieder mehr in den gesellschaftlichen Prozess einmischen. Es kann nicht sein, dass die Schwarz-Weiß-Denker das Zepter endgültig an sich reißen. Zu schön ist es dafür in unserem Land und auf unserem Planeten im Ganzen. Lassen wir uns diese gesellschaftliche Hoheit nicht kaputt machen von (noch) einigen wenigen Engstirnigen. Besinnen wir uns endlich auf das zurück was wir sind: Menschen. Menschen, denen in die Wiege gelegt wurde, aus jedem Atemzug etwas Besonderes machen zu können. Menschen, die jeden Moment einzigartig und individuell gestalten können. Durchbrechen wir die Mauer des Schweigens und stehen wir endlich gegen diese gesellschaftliche Vergiftung auf. Jeder Einzelne ist dafür mitverantwortlich, dass der gesellschaftliche Prozess fruchtbar und lebendig bleibt. Jeder kann seinen Beitrag leisten und sei dieser nur, für seine eigene Meinung einzustehen. Am Stammtisch. Online. In Form von Kommentaren und Leserbriefen in Zeitungen und Magazinen. Schweigen wir nicht, sondern kämpfen wir für ein Leben in Frieden. Für ein Leben in Freude. Für ein Leben!
Factbox
Kann ein Staat seine grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen, spricht man in der Politikwissenschaft von einem gescheiterten Staat (engl. „failed state“). Welche Funktionen darüber entscheiden, ob ein Staat gescheitert ist, hängt von der jeweils unterschiedlichen Definition ab. Die Organisation „Fund for Peace“ bringt zum Beispiel jedes Jahr den „Fragile States Index“ heraus, in dem die Staaten nach ihrem Grad des „Scheiterns“ beurteilt werden. Anhand von zwölf Kategorien werden die Staaten in diesem Index bewertet. Bewertet werden unter anderen sozialen Indikatoren wie Migration, wirtschaftliche Faktoren wie Staatsverschuldung und politische Einflüsse wie Korruption oder Pressefreiheit. Wenig überraschend wird dieser Index von Staaten angeführt, die von Krieg, Bürgerkrieg, Terrorismus und Armut schwer gebeutelt sind. An der Spitze dieser unrühmlichen Wertung liegen beispielsweise der Südsudan und Somalia. Österreich liegt auf Rang 167 und damit relativ weit am Ende dieser Rangliste.
Titelbild: knelstrom; pixabay.com .