Gewalt ist abzulehnen. Ganz egal ob von „linker“ oder von „rechter“ Seite. Spätestens wenn Steine fliegen, Menschen verletzt werden und Sprengkörper ins Spiel kommen gibt es keine Diskussion mehr darüber, ob solche Mittel legitim sind.
Gewalt ist eine klare Sprache. Gewalt ist eine Zäsur. Gewalt ist eindeutig und muss nicht interpretiert werden. Ganz egal von welcher Seite sie kommt, sie hat den entscheidenden „Vorteil“ unmissverständlich zu sein. An ihr gibt es nicht auszulegen, nichts zu deuten, nichts zu verstehen.
Gewalt ist. Wenn Steine fliegen, dann ist der Diskurs für einige Augenblicke trocken gelegt. Die Diskussion versiegt. Das ist womöglich auch der Ansatz von gewaltbereiten Demonstranten: Keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass sie auf der richtigen Seite stehen und für die richtige Sache kämpfen. Die pure Präsenz von Gewalt vernichtet subtile, unter Umständen aber mäandernde und leere Diskurse und Diskussionen über die richtigen Mittel und darüber, ob der eigene Kampf überhaupt richtig und adäquat geführt ist.
Man darf darüber spekulieren, warum sich gewaltbereite, nach Gewalt und körperlicher Konfrontation suchende Demonstranten ausgerechnet unter eine Gruppe von Menschen mischen, die vermeintlich für Offenheit auf metaphorischer und ganz konkreter Ebene eintreten. Die friedliebenden Demonstranten propagieren offene Grenzen und werden nicht müde zu skandieren, dass jeder Flüchtling in Österreich willkommen sei und dass die Schließung der Brenner-Grenze der Untergang des europäischen Gedankens sei. Das Zusammentreffen dieser beiden, auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Gruppierungen, ist dabei kein Zufall.
Es ist der differenzierte Diskurs, der erlahmt und letztlich versiegt ist. Nach der anfänglichen Euphorie über jeden ankommenden Flüchtling wurde keine sachlich fundierte Diskussion darüber eröffnet und etabliert, wer eigentlich nach Österreich gekommen ist und kommt. Etwaige Vermutungen, dass nicht nur friedliche, weltoffene und hochgebildete Menschen im Rahmen dieser Migrationsbewegung nach Österreich gekommen sind, wurden im Keim erstickt. Stattdessen wurde ein um sich greifendes Denkverbot verhängt, was etwaige rationale Einwände gegen die streckenweise irrationale „Flüchtlings-Euphorie“ betraf.
Mittlerweile wirken die Willkommens-Bekundungen weitestgehend sinnentleert. Die Begriffe und Ausführungen darüber haben sich verselbständigt und von der hochkomplexen Realität abgekoppelt. Sie beschreiben nicht mehr, setzen sich nicht auseinander, sondern stellen Behauptungen auf und sind mittlerweile streng selbstreferentiell und ausschließend. Wenn ihr nicht mit uns seid, dann seid ihr gegen uns. Wenn ihr unsere Begrifflichkeiten nicht teilt, unsere Formulierungen nicht wiederholt, dann seid ihr auf der falsche Seite.
Gewalt scheint dann wie eine logische Konsequenz. In mehrfacher Hinsicht. Wenn die Denkverbote fröhliche Urstände feiern und das Denken sich in Schwarz-Weiss-Malerei versucht, dann ist die Forderung nach Reflexions-Stopps und nach tatkräftiger Handlung nicht mehr weit.
Wenn Diskurse und Diskussionen nicht die notwendige Komplexität erreichen und notorisch vereinfachend und unterkomplex sind, dann ist es nahe liegend, dass auch Menschen denen Diskussion und Differenzierung fremd ist und denen Gewalt näher liegt, sich unter diesem Dach willkommen und wohl fühlen.
Wenn sich Begriffe und Formulierungen von einer hochkomplexen Realität lösen und zum bloßen Erkennungsmerkmal von Gruppierungen und Szenen werden, dann ist es nahe liegend zu bemerken, dass diese Begriffe und Formulierungen nichts mehr bewirken können, da sie sich lediglich auf sich selbst beziehen. Durch ihre Wiederholung werden sie nicht richtiger, sondern leerer und wirkungsloser. Gewalt erscheint dann fast schon wie eine Erlösung. Gewalt ist Realität, sie kann nicht wegdiskutiert werden. Sie zeigt, zumindest für Augenblicke, eine unmittelbare Auswirkung.
Das soll Gewalt nicht legitimieren. Ganz im Gegenteil. Es gilt vielmehr einen ausreichend komplexen Diskurs über die Situation zu etablieren, der gewaltbereiten Menschen keinen Platz bietet. Es wird nicht reichen, auf Dauer einem Mantra ähnlich die Notwendigkeit von offenen Grenzen immer und immer wieder zu wiederholen.
Es wird nicht möglich sein, die anfängliche „Willkommens-Euphorie“ über die nächste Zeit zu retten. Es wird notwendig sein sich die Frage zu stellen, weshalb sich die anfängliche Willkommens-Kultur bei weiten Teilen der Bevölkerung ins Gegenteil verkehrt hat. Es wird nicht reichen, sich selbst mit immergleichen Parolen zu bestärken und damit nur das eigene Denken, das möglicherweise auch einem Irrtum aufgesessen ist, abzusichern.
Nur mit gesundem Zweifel tritt man der unreflektierten Gewalt entgegen. Nur mit stetiger Skepsis und scharfem Verstand werden Diskurse erweitert statt verengt. Nur mit einem Denken, das der Komplexität der Umstände gerecht wird lässt der Gewalt der Nährboden nachhaltig entziehen.
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