Wenn dienstags schon wieder Donnerstag ist

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Social Media Titel: „Liebe Selbstständige: Es ist doch so, oder?“


 
Die folgenden Zeilen sind ausschließlich für Unternehmer und nur für Unternehmer gedacht. Jene, die es in einer klassischen Anstellung nicht mehr ausgehalten haben, eine eigene Idee verwirklichen wollten oder sich aus keinem bestimmten Grund selbstständig gemacht haben. Also auch an jene, die regelmäßig Briefe von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, dem Finanzamt, dem Land, der Stadt, dem Bund und der Wirtschaftskammer bekommen. Sprich all jene, denen oft gesagt wird: „Ach hast du es fein. Ich muss von 8 bis 18 Uhr arbeiten. Du kannst dir einfach spontan freinehmen und arbeiten wann du willst. Du hast es gut.“ Genau diejenigen, denen das bekannt vorkommt, die lesen jetzt weiter. Der Rest: Ihr müsst arbeiten, nicht lesen!
Wer kennt sie nicht? Diese Donnerstage, wenn man überlegt: „Welcher Wochentag ist heute nochmal, Dienstag oder?“ Just im selben Augenblick, als einem der Fehler bewusst wird, klappt die übervolle, imaginäre To-do-Liste vors innere Auge und der Schädel beginnt zu rattern. Thomas zurückrufen. Der Agentur Bescheid geben, dass Anfang nächster Woche alles fertig wird. Die Rechnung vom Steuerberater überweisen. Habe ich die nicht schon überwiesen? Ist nicht schon bald wieder Quartalsende? Dann ist die Umsatzsteuer dran. Mist, wie viel wird das wohl ausmachen? Wo habe ich nur die Rechnung vom letzten Mittagessen hingelegt? Oder hat der Kunde mich eingeladen? Nein, die muss in der Geldtasche sein. Mist, die Geldtasche. Ich sollte endlich einen Dauerauftrag für die Büromiete einrichten. Mensch.
Gott sei Dank klingelt in einem solchen Moment, kurz bevor der totale Kollaps droht, das Telefon. „Entschuldigen sie den frühen Anruf, aber es ist dringend.“ Danach folgen viele Wörter, sehr viele Wörter. Ich kann sie auch verstehen, jedes einzelne, der Inhalt bleibt mir aber verwehrt. Der Wortfluss wird zu einem Rauschen und später zu einem Zischen. Abwehrreaktion meines Gehirns. Die To-do-Liste ist voll. Aus. Da geht nichts mehr. „Schaffen sie das bis heute Abend?“ „Ja, klar schaffe ich das.“ „Super, wenn sie noch etwas brauchen, melden sie sich einfach bei mir.“ Ja, ich melde mich bei dir. Wer warst du noch gleich? Mail Posteinang +1. Im Betreff: Dringend. Was sonst? So lange da nicht dringend, dringend und ein Rufezeichen stehen, kann es nicht so wild sein. Dringend ist heutzutage alles. Meistens dann, wenn Menschen auf Urlaub gehen. Dann muss alles schnell gehen. Auch wenn die Dinge dann zwei Wochen am urlaubsfreien Schreibtisch liegen bleiben – wer fährt schon gern mit offenen Projekten in die wohlverdienten Ferien?
Mensch Urlaub, das wäre mal was. Ich habe es meiner Partnerin doch fix versprochen Wir fahren weg. Sobald es ruhiger wird. Nächste … nächsten Monat dann. Oder im Juli. Da ist es immer ruhiger, weil da generell alle auf Urlaub sind. Ja oder nächste Woche, da habe ich nur am Montag einen Termin. Ach nein, und Donnerstag. Mensch, wieso habe ich da zugesagt. Weil man sich bei Abendveranstaltungen zeigen muss, das ist wichtig fürs Geschäft. Die Leute müssen dich sehen, sich an dich erinnern. Tönt die Stimme meiner Freundin in meinem Ohr. Ja du hast recht. Stimmt. Dort muss ich hin. Ob der Thomas auch dort ist? Dann würde ich wenigstens jemanden kennen und müsste mich nicht zu einem Stehtisch voller fremder Leute dazustellen. Bitte Thomas heb ab und sag, dass du dabei bist.
Statt Thomas, ein anderer Anruf. „Ja, Chef. Klar, das Projekt steht. Die Deadline kann ich halten.“ Habe ich gerade Chef gesagt? Das war mein bester Kunde. Ob ihm das aufgefallen ist? Hoffentlich denkt er nicht, dass ich ihn vera… habe. Chef. Nein, ganz sicher nicht. Hier bin ich der Chef. In diesem Zimmer regiere ich. Mir sagt niemand, wann ich arbeiten muss. Ich entscheide frei. Frei und selbstbestimmt. Naja, bis auf das Projekt halt. Das muss bis morgen fertig werden. Oh Mann, das bedeutet Nachtschicht. Gut, dass erst Dienstag ist. Klapp …
P.S: Sollte doch irgendein fauler, träger Angestellter, dem der Mut zur Selbstständigkeit fehlt, diesen Text gelesen haben … bitte einfach den ersten und letzten Absatz wegdenken und Umsatzsteuer durch eine andere Abgabe ersetzen. Kommt dir bekannt vor? Ja liebe österreichische Sozialpartner … an der Basis kämpfen wir alle mit den gleichen Problemen. Also bitte, bitte … hört endlich mit euren lächerlichen Poker-Spielchen auf und lieber mal uns allen zu. Angestellten, Arbeitern und Unternehmer gleichermaßen…

Hier geht es zu den vorherigen Folgen von "Kleingeist und Größenwahn".

Glaubt an das Gute im Menschen. Eigentlich Betriebswirt. Hat das ALPENFEUILLETON ursprünglich ins Leben gerufen und alle vier Neustarts selbst miterlebt. Auch in Phase vier aktiv mit dabei und fleißig am Schreiben.

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