In seinem Lied „Das Lied vom Ende des Kapitalismus“ jubelt der Songwriter Peter Licht, dass der Kapitalismus endlich vorbei sei. „Vorbei vorbei vor vorbei vorbei/ Jetzt isser endlich vorbei“. In diesem Song erinnert er sich aber auch daran, was wir taten und wie wir waren, als er eben noch nicht vorbei war. „Wir hamm uns alle beschriftet“. Der Kapitalismus ist ein System der Beschriftungen und der Bekenntnisse. Wir tragen Marken zur Schau. Das System funktioniert dabei strikt nach Unterscheidungen und Differenzierungen. Ich trage diese Marke und nicht jene. Manche Marken taugen zur Distinktion. Der Kapitalismus ist additiv. Es geht um ein Immer-Noch-Mehr. Um ein Und-Und-Und. Man hortet Produkte, Marken, Zeichen.
Bemerkenswert, dass sich unter diesem Gesichtspunkt ein Metal-Konzert wie die Überspitzung und Pervertierung dieser Logik beschreiben lässt. Wer auf ein Metal-Konzert geht, der hat viele Beschriftungen zu lesen und zu interpretieren. Mittels zumeist schwarzer T-Shirts bekannt man sich zu konkreten Bands. Daran erkennt man, ohne mit dem Menschen gegenüber auch nur ein einziges Wort gewechselt zu haben, mögliche Interessen und den Lebensstil des potentielles Freundes. Folgerichtig kommt es auch vor, dass die Band die Zuhörerinnen und Zuhörer als Freunde bezeichnet. Man ist unter Gleichgesinnten. In einem System, das zwar in sich eine enorme Differenzierung kennt, aber nur schwer dazu in der Lage ist sich ein Außerhalb vorzustellen. Der Metal ist eine Konstruktion, ebenso wie der Kapitalismus, die sich gerne als alternativlos inszeniert.
Der Metal-Hörer hortet Produkte in Form von CDs, Platten und T-Shirts. Die Frage nach dem Nutzen, der Relevanz und dem Gebrauchswert der jeweiligen Veröffentlichung stellt er sich nicht. Es geht nicht um die Bewertung der Qualität des jeweiligen Produktes, sondern um die Perpetuierung des Systems Metal. Nur durch den Kauf möglichst viele Produkte kann den zahllosen Band und somit der Szene insgesamt ein Weiterleben ermöglicht werden. Sie funktioniert nur, weil der Motor des strikt additiven und die Logik des Noch-Mehr hier bestens funktioniert. Wer den Blick von einem kaum denkbaren Außerhalb auf die Qualität der Musik und auf die Wiederholung der Codes dieser Szene wirft, gefährdet den Bestand ebendieser.
Die Behauptung der Selbstbezüglichkeit der Szene und deren Funktionsweisen sind auch auf ästhetischer Ebene vorzufinden. Etwa dann, wenn eine Band wie Six Feet Under nichts Besseres zu tun hat, als Metal- und Rock-Klassiker zu covern. Das tut sie nicht auf originelle, sondern auf fast schon unfassbar stumpfe Weise. Man mag sich zwar am immer noch guttural-eindrucksvollen „Gesang“ des Frontmannes Chris Barnes erfreuen. Aber darüber hinaus bietet sich nichts, an dem sich musikalische festhalten ließe oder dass auch nur irgendwie den Willen vorzeigen würde, mit der Qualität von diesen Songs zu spielen und ihnen neue Aspekte abzuringen. Sie werden stattdessen unsensibel und unmusikalisch niedergeknüppelt und niedergeschrien.
Das ergibt insgesamt zwar ein schwer unterdurchschnittliches und absolut verzichtbares Konzert. Daraus lässt aber auch einiges über den Zustand der Szene insgesamt ableiten. Die P.M.K. (die Band gastierte am 06.07. ebendort, Anm. MS) ist gut gefüllt, die Zuhörerinnen und Zuhörer begeistert, die Haare fliegen. Das funktioniert deshalb, weil Six Feet Under auf die reichhaltige Tradition der „harten Musik“ zurückgreift und diese nostalgisch verklärend interpretiert. Der ganze „härtere“ Anstrich von bratzigen Gitarren und kehligem Gesang ist nur ein Vorwand, um von einer unfassbaren Ideenlosigkeit abzulenken. Anders gesagt: Die (kreative) Krise der Szene wird nicht zum Thema gemacht. Auf diese Krise wird nicht mit der Durchlüftung und der Inkorporierung von neuen Ideen von einem möglichen „Außerhalb“ reagiert, sondern mit der sturen Behauptung, dass die wenigen etablierten musikalischen Mittel, Codes und Strukturen völlig ausreichen.
Wenn wir davon ausgehen, und ich plädiere stark dafür, dass Musik ein Verfahren der Welt- und Realitätsbeschreibung ist, dann beschreibt diese Musik absolut nichts. In ihrer Logik gibt es gar keine Realität, keine Welt und kein Außerhalb des eigenen Systems. Sie hat sich abgekapselt und gibt sich mit dem zufrieden, was war. Sie benutzt die Konzepte, Strukturen, Codes und Mittel des Metal nicht, um Emotionen, Phänomene, Ereignisse und Befindlichkeiten zu beschreiben und zu thematisieren. Sie führt lediglich ihre eigenen Bedingungen und Funktionsweise immer wieder ostentativ und mit einer immensen Sturheit vor.
Obwohl sich Metal, zumal in den härteren Spielarten, betont aggressiv und angriffig gibt, ist er letzten Endes auf der Seite des Bewahrens und des Werte- und System-Erhaltes. Metal und der Kapitalismus in seiner pervertierten Form haben eines gemeinsam: Sie weisen immer wieder auf ihre Alternativlosigkeit hin und verstellen den Blick auf die Welt und deren Möglichkeiten. Darauf, was auch noch sein könnte. Sie behaupten stur zu funktionieren, ausreichend und hinreichend zu sein und reagieren auf Kritik nicht mit Erneuerung, sondern mit dem Prinzip von Jetzt-erst-Recht. In beiden Fällen wird eine unglaubliche Produkt-Flut generiert, bei denen die Frage nach der Nützlichkeit und Relevanz eine fast schon häretische Frage ist.
Man muss wieder träumen. Imaginieren. Fabulieren. Wenn schon der Kapitalismus nicht vorbei geht, dann zumindest Metal in seiner derzeitigen Form. Ein Konzert wie des gestrige von Six Feet Under zeigt an, in welchem erbärmlichen Zustand er sich befindet und wie sehr er eine Öffnung bräuchte.
In der besten aller möglichen Welten wäre er nur ein Verfahren, das zur Beschreibung konkreter Realitäts-Momente geeignet wäre, während für andere Erzählungen und für andere Welt-Fragmente gänzlich andere Verfahren etabliert und verwendet werden würden. Der Blick wäre freier, offener, weniger vorbelastet. Wir würden uns zwar weniger beschriften, aber unsere Sichtweise wäre befreiter.
Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".