Alternativ-Titel: Welcome to Kebabistan
„Weil Speis und Trank in dieser Welt doch Leib und Seel’ zusammenhält“.
Zur österreichischen Kultur gehört eindeutig die des Trinkens und damit untrennbar verbunden des betrunkenen Essens. Zumindest im urbanen Raum gibt es eine ganze Armada von Möglichkeiten, um sich nach einer schwankend, lallenden Bestellung den Magen mit Fettigem vollzustopfen. So rational die nüchterne Ernährung heutzutage aussieht (Glutenfrei, Vegan, Fairtrade, nicht nach 18:00 Uhr etc.), so wird zur nächtlichen Stunde, wenn das Urtier in einem befreit ist und man knackefett zum Fressnapf schreitet, jedes dieser Konzepte über den Haufen geworfen. So homogen schmutzig und verboten die spätnächtliche Kulinarik auch ist, so heterogen ist das Spektrum an verbotenen Genüssen. Der Klassiker ist der Würstelstand. Neuzugänge sind Burgerbrater oder Noodle-Paläste. Die bedeutendste Kategorie der Kulinarik zu fortgeschrittener Stunde ist der Kebap. Das bauliche Spektrum ist dabei weit gefasst. Von der mobilen Variante (Kebapstand, Dönerbude) bis zur professionellen Großgastronomie mit Service. Nicht nur die Vielfalt an weniger typischen türkischen Gerichten wie Pizza, Fritten oder Schnitzelburger, sondern auch die Klassiker wie Hauskebap und Dürüm lassen diese Einrichtung als die variantenreichste erscheinen.
Da die Beliebtheit des orientalisch Gegrillten für internationale Omnipräsenz sorgt (unlängst sah ich etwa in Danzig die polnische Kebapkette „Kebabistan“) haben sich natürlich gewisse Regeln und liebgewonnene Traditionen rund um den ultimativen Spießfetischismus entwickelt. Diese gibt es in landesüblicher Ausprägung. In Andalusien beispielsweise ist durch die Regelung, dass Nachtgastronomie nur bis ein Uhr geöffnet haben darf, ab dieser Uhrzeit das Betreten des Lokals ausschließlich auf allen Vieren möglich. Um die kontrollierenden Polizisten in die Irre zu führen, wird der Rolladen zur Tarnung weit heruntergelassen. In Österreich sind die Besonderheiten vor allem im Sprachlichen verhaftet. So bestellt der Kenner seinen Kebap nach der obligatorischen Frage des Kantineurs „mit alles“ gerne „ohne Zwiebel aber bissi scharf“ oder „mit Schafskäs“. Aller tiefsinnigen Analyse zum Trotz steht die unbändigbare Gier des besoffenen Essers im Vordergrund. Speziell bei überdosiertem Alkoholgenuss kann es vorkommen, dass die gekaufte Menge an Pizza, Kepab und Co für den geplanten Konsum in den eigenen vier Wänden zu hoch ausfällt. Da die Einschätzung des eigenen Zustandes und Appetits stark von der Realität entfernt sind, erwacht man am nächsten Tag, mit Knoblauchsauce und einer Restmenge Nahrung für eine vierköpfige Familie, verkatert vor dem laufenden Fernseher und wundert sich über den Vorabend. Lohnt sich das? Keine Ahnung, aber es wird sicher wieder passieren.
Boris Sebastian Schön hat noch kein Buch geschrieben, welches hier beworben werden könnte. Aber er geht mit offenen Augen und Ohren durch die Welt und ist immerhin Mitgründer des ALPENFEUILLETON. Die “Lohnt sich das”-Kolumnen sind seine ersten AFEU-Veröffentlichungen.