Arbeitsmarkt in Tirol: Dummheit, Glattheit, Widerständigkeit

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Um sich durch den Tiroler Arbeitsmarkt-Dschungel zu kämpfen und ihn zu verstehen ist es notwendig, sich mit zwei etwas altmodisch anmutenden Begriffe auszurüsten: Substanz und Widerständigkeit.
Der erste Begriff steht in post-post-modernen Zeiten unter Generalverdacht. Wir bekämen es mit einer Art von Substanz-Ontologie zu tun. Im Heute ist das eine unzumutbare Vorstellung. Eine Provokation.
Würden wir die Substanz einer Sache suchen und uns den Dingen mit ontologischem Interesse annähern, würden wir an das überzeitliche „Wesen“ einer Sache glauben. Wir würden womöglich an unseren Erkenntnis-Werkzeugen zweifeln. Nicht aber daran, dass eine Bestimmung der Substanz potentiell möglich ist.
Die zweite Provokation ist der Begriff Widerständigkeit. Er bezeichnet eine Sache, ein Phänomen oder eine Situation, die sich nicht vollständig erschließt und entschlüsseln lässt.
Gute Kunst ist per se widerständig. Sie erschließt sich nicht auf den ersten Blick und entzieht sich womöglich stetig aufs Neue. Sie hatte doppelte Böden, spielt mit Komplexität und Unverständlichem. Sie sträubt sich gegen die allzu naive Rezeption und gegen beliebige Einordnung in verschiedenste Kontexte. Kunst ist nicht aalglatt und für jeglichen Zweck verwendbar und instrumentalisierbar.
Dem entgegen steht am derzeitigen Arbeitsmarkt eine Omnipräsenz der Glattheit. Eine Vorherrschaft der Oberflächen und der Substanzlosigkeit. Nur so ließe sich nach Meinung der Akteure in diesem System auf den Markt schnell und adäquat reagieren. Widerständigkeit ist hinderlich. Mit ihr schafft man es nicht schnell genug zu reagieren. Mit der Bestimmung des Wesens einer Sache wird man außerdem den Mit-Akteuren hinterher hinken.
Das alles ist legitim. Das Tempo des Marktes bestimmt das Tempo des Denkens. Dieses wiederum führt zur Dominanz von Flexibilität und Wandelbarkeit.
Dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Derjenige, der stur an seiner Position der Widerständigkeit um der Widerständigkeit Willen festhält ist nicht klug, sondern starr und unreflektiert.
Selbstverständlich wird der „Kern“ eine Sache von Veränderungen umweht. Klarerweise gilt es sich mit den Tendenzen und Neigungen einer Entwicklung klug und strategisch geschickt zu arrangieren. Das wiederum bedeutet nicht, die Sache an sich sofort aufzugeben, wenn es zu ersten Turbulenzen kommt. Es gilt widerständig, nachhaltig und stetig zu agieren.
Ein Aspekt wird in dieser Diskussion jedenfalls übersehen. Zum Aufbau und dauerhaften Etablierung einer Marke gehört auch Widerständigkeit. Passt sich zum Beispiel ein Blog-Portal den Erfordernissen des Marktes und den Wünschen der Kunden zu hundert Prozent an, verliert es seine Eigenständigkeit und seine Substanz. Es gleicht sich an, lässt sich so lange in beliebige Kontexte einpassen und erfüllt so lange abwegigste Wünsche und Erwartungen, bis es sich selbst so sehr angeglichen hat, dass es sich vollständig geglättet und als Marke überflüssig gemacht hat.
Eine dauerhafte funktionierende Marke bildet sich hingegen aus dem Wechselspiel aus strategisch kluger Reaktion auf die Anforderungen des Marktes und dem Beharren auf der eigenen Substanz und dem eigenen Wesen. Die Grenzen sind dabei nicht beliebig verschiebbar, nicht jeglicher Wunsch ist legitim und nicht jegliche Angleichung ist produktiv.
In gewisser Weise muss sich eine Marke dem Wesen der Kunst annähern. Sie darf nicht völlig im Verstehens-Horizont der Rezipienten und Kunden aufgehen. Sie muss sich Aspekte des Geheimnisses bewahren. Sie darf nicht jeglichen Aspekt der eigenen Funktionsweise offen legen oder es gar dem Kunden überlassen, jeglichen Schritt der immanenten Funktionsweisen mitzubestimmen und beliebig abzuändern.
Tut sie das, verliert sie ihre Besonderheiten, ihre Differenz zu anderen Angeboten. Sie befriedigt somit kurzfristig jeglichen Kundenwunsch und spielt im Markt mit. Das funktioniert aber nur so lange bis der Kunde merkt, dass dieses Produkt überflüssig ist und man es, nachdem man es ja ohnehin schon bis zur Unkenntlichkeit mit beeinflussen hat dürfen, auch selbst auf die Beine stellen könnte. Der Verlust des Geheimnisses und der ureigenen Funktionsweisen öffnen Tür und Tor für Beliebigkeit und letzten Endes für den eigenen Untergang.
Die Diagnose ist also eindeutig. In Tirol denkt man, vor allem im Text-, Content- und Blogbereich, zu kurzfristig und zu wenig nachhaltig. Man gibt die eigenen „Geheimnisse“ und Kompetenzen leichtfertig preis und ersetzt sie mit der Schimäre der reinen Kundenorientierung und der unbedingten Marktlogik.
Eine Frage muss daher erlaubt sein: Wie lange wird das noch gutgehen? Wie lange kann man es sich leisten die kritischen Köpfe links liegen zu lassen und die mittelmäßigen, glatten Mitarbeiter mit Anstellungen zu „belohnen“? Die Zeit wird es zeigen.

Titelbild: (c) Justin Garrison, flickr.com

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

2 Comments

  1. An Blogs lassen sich Marketing-Strategien und Image-Strategien heute sehr gut austesten, da für Publikation und Vertrieb nur geringe Mittel vonnöten sind.
    Trotz der vielen bunten Food-Blogs und der Fashionistas scheinen Blogs heute gut dafür, bewegliches Denken, bewegliche Seinformen, bewegende Beobachtungen und bewegte Gedanken auf die Handy-Displays der Leute zu bringen.
    Als äusserst flexible Medien – praktisch „ortlos“ in ihrer Herstellung und in „überall“ in ihrer Verbreitung können heute nur Blogs den nötigen „Sand ins Getriebe“ streuen:
    Meine Beobachtung zufolge haben Blogs längst die von der „experimentellen“ Literatur, von einem schwerfälligen Verlagswesen, von einem anzeigengestützten Pressewesen vernachlässigten Funktionen übernommen:
    „Civil Disobedience“ (Thoreau).

  2. Blogger haben heute mehr Möglichkeiten denn je. Und Bloggen kann einerseits als Kunst, oder andererseits als Journalismus betrachtet werden. Als Anstellungslose Journalistin bin ich zwar brotlos, aber irgendwie auch frei. Ich muss mich nicht verrenken und dabei dauerglätten, um angenommen und wahrgenommen zu werden, sondern ich kann schreiben wo ich will. Und in Grenzen auch was ich will und vor allem WIE ich will. Mein Fokus bekommt sein Eigengewicht, der sozusagen sein eigener Wert an sich ist. Ich genieße das, bin aber natürlich ziemlich hungrig dabei…

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