Der Topos von der linken Kunst
Natürlich muss das Innsbrucker Treibhaus schon allein aus ästhetischen Gründen so tiefgrün wie eine gut gepflegte Marihuanapflanze sein – und dafür wird es auch allseits geliebt und geschätzt. Schon in den frühen 80ern, als das Lieblingslokal antiautoritärer Eltern, anarchistischer Jazzkomponisten und mittelloser Studenten (kein Konsumzwang!) noch in Pradl stand, pflegte es eine sehr explizite Kultur der Weltoffenheit. Und wer gerne hören möchte, was alte und neue Linke und Kritische so zu Flüchtlings- und Bankenkrisen zu sagen haben, den wird es auch 2016 noch ohne Umschweife ins Treibhaus ziehen.
Fast jede größere Veranstaltung der Tiroler VdB-Anhänger fand bislang vor Ort statt – unvergessen bleibt die ohrenbetäubende Euphorie bei der Verkündung des letzten Wahlergebnisses, die beinahe das Vintage-Fumoir vulgo Fernsehzimmer gesprengt hätte.
Aber ob sich ein dem eigenen Anspruch nach sehr kritisches Szenelokal in einem so polarisierten Wahlkampf so eindeutig positionieren sollte, ohne dass die komplexe innenpolitische Situation auch nur am Rande zur Sprache kommt?
Dass Kunst, wenn politisch, dann sehr häufig tendenziell links ist, soll ihr nicht in Abrede gestellt werden. Das wird schon seinen Grund haben.
Dass Künstler, wenn sie eine politische Meinung haben, ihren Einfluss nutzen und zur Bewusstseinsbildung einsetzen, ist ihr gutes Recht und vielleicht sogar ihr Job.
In einer deutlich aufgebauschten Veranstaltung im Konzerthaus Wien verkündeten schon Größen wie André Heller, Josef Hader und Adele Neuhauser ihre uneingeschränkte Unterstützung für van der Bellen. Das Burgtheater hat sich fast kollektiv hinter ihn gestellt.
Ob so eindeutige Bekenntnisse die Kunst aber nicht ihrer ureigensten Ausdruckskraft, ihrer Fähigkeit, Widersprüche zu thematisieren und zuzulassen beraubt, wurde von AFEU-Kulturredakteur Markus Stegmayr schon vor dem letzten Wahldurchgang massiv angezweifelt.
Wie ist es also einzuordnen, wenn das Treibhaus einen Abend lang seiner Zuneigung zu Sascha frönt, dazu (wirklich gute) Musik, etwa von Restless Leg Syndrome, und dann später am Abend ausgerechnet Casablanca zum Ausklang des diesjährigen Open-Air-Kinos gezeigt wird? Sascha im Kampf gegen den Faschismus, ist das nicht maßlos plakativ?
Eine unerwiderte Liebe?
Realpolitik sollte, wenn sie gut ist – und das sollte Künstlern und Kulturtreibenden, Idealisten und Utopisten schmerzlich bewusst sein – die Wissenschaft vom kleinsten Übel sein; es wäre also mehr als in Ordnung, wenn Österreichs Kunstsinnige sich momentan darin einig sind, dass VdB als Präsident definitiv das geringere Übel ist. Ich bin ihrer Meinung!
Nun geht aber ein Fest für einen von zwei Kandidaten, mit dem sich für diverse Tiroler Grüne-Funktionäre auch eine gute Gelegenheit für ein kleines Gesichtsbad ergab, darüber weit hinaus.
Zumindest steht ein „Fest für Norbert“ (Hofer, nicht Pleifer) völlig außer Frage. Und wir würden auch alle aufschreien und das absolut geschmacklos finden. Bei van der Bellen sind wir da sehr viel toleranter.
Natürlich: Eine Bundespräsidentenwahl ist eine Personenwahl. Wo Parteien schon jenseits von Gut und Böse ist, ist die Person doch immer noch Domäne der Kunst. Ein Fest für die Grüne (oder jede beliebige andere) Partei müsste wohl ohne Zweifel massive Empörung hervorrufen. Einen Abend für eine Einzelperson zu veranstalten, um ihr die eigene Sympathie und Unterstützung zu bekunden, ist etwas anderes, als ihre Politik vorbehaltlos zu unterschreiben.
Rein faktisch sieht es aber trotzdem so aus:
Weder Alexander van der Bellen noch Norbert Hofer haben der Kunst in einer ihrer drei Kampagnen bislang nennenswerte Unterstützung zugesagt oder sie zur besonders wichtigen Komponente der österreichischen Identität erklärt.
Das Verhältnis zwischen institutioneller Politik und Kunst ist traditionell ein schwieriges, und das ist auch ganz richtig so.
Ist es also die blanke Naivität oder, noch schlimmer, Anbiederung, was man sich in der heimischen Kulturlandschaft derzeit leistet?
Keine Angst vor blauen Blumen
Verständlich wird es vielleicht vor dem Hintergrund, dass wir über Kunst, die wir produzieren oder konsumieren, sehr wohl ausdrücken, in was für einer Welt wir leben wollen. Und eine Positionierung im hiesigen Wahlkampf scheint auch genau das ausdrücken zu wollen – obwohl die damit verbundenen Utopien mit den Kandidaten selbst vielleicht nur begrenzt zu tun haben.
Denn in Wirklichkeit geht es erstmal viel mehr darum, in was für einer Welt wir nicht leben wollen, und diese Frage scheint sich, vor allem vor dem Hintergrund der neuen Hofer-Kampagne, immer mehr am Thema der Öffnung oder Schließung von Grenzen zu spießen.
In Kunst und Kultur wollen wir keine Grenzschließung – von welchen Grenzen auch immer die Rede sein mag. Das können wir alle einmal laut und deutlich sagen. Dann ist wieder genug.
Die Kunst muss keine Angst vor Norbert Hofer haben, vor einer Streichung von Förderungen, vor blauen Blumen oder einer neuen Zensur. Das war noch nie ihr Problem. Solange es Dissidenten gibt, wird die Kunst überleben, zur Not auch im Untergrund.
Aber Aldous Huxley, Autor von Brave New World hat lange vor George Orwell verstanden, dass die eigentliche Zensur nicht von einem irgendwie gearteten „Big Brother“ ausgeht, sondern selbst auferlegt ist. Die Kunst muss keine Angst davor haben, dass man sie verbietet – wohl aber davor, dass niemand sie mehr braucht, einfach deshalb, weil andere Dinge so viel wichtiger sind. Und das ist durchaus nicht völlig ausgeschlossen – weil Kunst Zeit braucht, Konzentration, Kompromisslosigkeit, und Lust am Überflüssigen. Und davon haben wir vielleicht immer weniger und weniger, unmerklich und ohne große Umstürze.
Das Thema dieser Wahl ist letztendlich nicht nur ein – seien wir uns ehrlich: insgesamt eher unbedeutender – innenpolitischer Personalwechsel, sondern vielmehr weitreichende Veränderungen innerhalb der österreichischen Gesellschaft.
Es ist also vielleicht nicht unbedingt nötig, und vielleicht auch nicht unbedingt angebracht, wenn das Treibhaus ein Fest für Sascha veranstaltet. Vielleicht wäre es aber wieder mal Zeit für einen schönes „Fest für die Kunst“ – und der kann gerne politisch sein. Und der Abend im Treibhaus war schön. Stephan Mathoi alias TOI, Restless Leg Syndrome und Testa, die hinterher noch auflegten, machen gute Musik. Casablanca ist nach über 70 Jahren noch immer ein wunderbarer Film.
Wenn dann Berufspolitiker, bis hin zu Sascha persönlich, vorbei schauen wollen, wird das mit Sicherheit zur Freude der übrigen Anwesenden gereichen. So häufig bekommt man sie ja allesamt nicht zu sehen…
Titelbild: (c) Christian Niederwolfsgruber
Nun, ich denke, die bevorstehnde 2. Stichwahl ist nicht nur die Wahl für einen insgesamt eher unbedeutenden – innenpolitischen Personalwechsel. Ich kann mich noch an Heinz Fischers erste Wahl zum Bundespräsidenten erinnern. Damals hab ich mit Begeisterung und auf meine Weise für ihn wahlgekämpft und die Freude war riesig, als er es dann geschafft hatte. Damals war Österreich allerdings noch nicht in der heutige Situation: Es war eine „normale“ Wahl. So wie immer eben. Die Stichwahl war damals ganz natürlich die zwischen zwei Kandidaten von Rot oder Schwarz. Gut, etwas war schon neu: für die ÖVP war eine Frau, Benita Ferrero-Wanldner, angetreten und schaffte es in die Stichwahl. Diesmal ist keine Frau in die Stichwahl gekommen aber sonst ist echt wirklich alles anders. Nicht nur, dass erstmals keine der ehemaligen Großparteien, die so lange die österreichische Politik prägten, in die Stichwahl kam. Auch die Tatsache, dass eine Bundespräsidentenwahl erstmals erfolgreich angefochten wurde und wiederholt werden musste, ist neu. Diese zwei Tatsachen bedeuten für mich, dass in Österreich das Interessen an Politik wirklich wieder ansteigen wird. Das ist gut. Ein Ausdruck dafür war wohl dieser Abend. Und es werden wohl künftig noch öfter solche Veranstaltungen stattfinden. Und ja: Auch Künstler haben ein Recht, ihre Präferenzen auf ihre – künstlerische Weise, auszudrücken und das auch gemeinsam und im festartigen Ambiente…