Es ist ein wunderschöner Samstag-Nachmittag. Die Sonne scheint. Die Leute essen Eis, unterhalten sich und werden auf der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck nur von diversen Bettlern und Spendensammlern daran gehindert, den Tag ungehindert und unbeschwert zu genießen.
Wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist hat außerdem mit einem fast wöchentlich wiederkehrenden Problem zu kämpfen. Mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit wird eine Demonstration in der Nähe der Annasäule stattfinden. Mit routinierter Souveränität werden dann Lautsprecher über die prachtvolle Einkaufsstraße gekarrt, Tische aufgestellt, Transparente entrollt und Info-Broschüren aufgelegt.
Diese Demonstrationen scheinen zum Ritual geworden zu sein, deren Inhalt weniger tangiert als die Tatsache, dass sie wöchentlich an diesem Ort zu einer bestimmten Zeit stattfinden. Die Menschen auf der Straße lassen sich davon jedenfalls anscheinend nicht mehr berühren. Weiterhin wird gekonnt Eis geschleckt, dem Einkaufsrausch gefrönt und in den Lokale Aperol gesoffen.
Ob im Hintergrund kurdische Organisationen oder Tierrechtler ihre Parolen ins Mikrofon brüllen ist mittlerweile unerheblich. All das gleicht eher den zwar doch ein wenig unangenehmen aber irgendwie akzeptierten Begleiterscheinungen auf einer belebten Straßen mitten im Zentrum einer beliebigen Stadt. Wie Bettler aus pragmatischen Gründen wissen, dass sie hier möglichst viel Geld lukrieren können und Spendensammler wissen, dass eine hohe Frequenz auch möglichst viele Abschlüsse von Daueraufträgen bedeutet, so wissen die Demonstranten auch, dass ihnen hier möglichst viele Leute zusehen.
Jede Aktion braucht Resonanz. Jede Handlung braucht Beobachter. Dabei ist nicht zwingend die Anzahl der Beobachter und Rezipienten entscheidend, sondern die Rezeptionsweise. Das schlimmste was einem Musiker passieren kann, ist ein teilnahmsloses Publikum, das er mit seiner Kunst nicht erreicht. Das schlimmste was Demonstranten passieren kann ist ein „Publikum“, das sich nicht für die verkündeten Anliegen interessiert.
Wenn das passiert, denn ändert der Handelnde im besten Fall die Signifikanten. Er sucht sich neue Methoden, neue Orten, neue Mittel. Tut er es nicht, dann legt er seine eigentlichen Intentionen offen. Er interessiert sich nicht für die Resonanz, sondern für die Aktion als Selbstzweck. Sein Bestreben ist es nicht ein Publikum zu erreichen, sondern von Seinesgleichen umgeben zu sein. In der Gruppe von Gleichgesinnten kristallisieren sich Themen und Inhalte heraus, die leicht sektiererisch anmuten. Es wird Freiheit für Menschen gefordert, von denen die breitere Masse bisher noch nichts gehört hat.
Es gälte also, womöglich, die breitere Masse aufzurütteln und zu sensibilisieren. Statt überteuerten Aperol in der selbsternannten Prachtstraße Innsbrucks zu schlürfen sollten mehr Menschen Flyer verteilen oder zumindest aktiv den weltbewegenden Reden der Demonstrierenden lauschen. Dass das nicht passiert feuert wohl Demonstranten an und bestätigt, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Es ist eine Art von Geheimwissen von Menschen, die sich aktiv und kritisch mit der Welt auseinander setzen, während die breite Masse nur stumpf Kaffee trinkend vor sich hin vegetiert und alles akzeptiert, was ihnen später dann bei Tirol Heute oder der ZIB als Wahrheit serviert wird.
So wird man als Ruhe suchender Passant in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck wohl weiterhin damit leben müssen, von Demonstrationen ein kleines bisschen belästigt zu werden. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Demonstrationen in absehbarer Zeit andere und wirkungsvollere Mittel und Orte finden werden. Dazu ist die Demonstrations-Maschinerie bereits viel zu eingespielt, zu routiniert und zu selbstverliebt. Dazu ist der Demonstrierende viel zu gerne unter Seinesgleichen.
Titelbild: (c) Zneppl, the photo freak, flickr.com