Dieser Text wurde zuerst in der UNIpress veröffentlicht.
Eigentlich wollte ich über das Student-sein schreiben. Darüber, wie sich die Welt verändert, wenn man endlich die Schulzeit, den Präsenzdienst, das freiwillige soziale Jahr oder die lebensverändernde Reise nach Indien hinter sich gebracht hat und zu studieren beginnt. Wenn der Babyspeck endgültig abfällt, die gekünstelte Coolness sich in echte Überlegenheit wandelt und die Sonnenbrille der Intellektuellenbrille weicht. Der Studienbeginn ist der Beginn des eigentlichen Lebens. Frei von Zwängen, frei von Regeln und dazu da, um die Welt endlich zu einem besseren Ort zu machen.
Doch dann folgte die Einsicht. Wieso soll ich, der 2006 an der Uni Innsbruck immatrikuliert hat, über das Student-sein schreiben und darüber was in einem Studienanfänger so vor sich geht? Wieso gerade ich? Ich habe doch ehrlich gesagt nicht den leisesten Schimmer davon, welche Träume ein Studienanfänger im Jahr 2016 träumt, welche Ziele er hat, welche Sorgen.
Zehn Jahre sind nun schon vergangen, seit ich mit fragenden Blick in die Hauptuni gestolpert bin, das Maturazeugnis gleichsam stolz und verkrampft in Händen haltend, auf der Suche nach der unaussprechlichen Immatrikulationsstelle. Damals hießen Studien noch Diplomstudien und Bachelor und Master kannte man nur aus Film und Fernsehen. Die Probleme waren kleine und danke Jürgen Klinsmann, Poldi, Klose und Schweinsteiger lag ohnehin ein Hauch Sommermärchen über Europa.
Ich kann mich gar nicht mehr wirklich erinnern, welche weltpolitischen Ereignisse uns damals beschäftigten. Wikipedia verrät. Der amerikanische Präsident George W. Bush kommt auf einen zweitägigen Besuch nach Stralsund. Montenegro wird ein eigener Staat. Im Nahen Osten eskaliert der militärische Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon. Der Bürgerkrieg in Sri Lanka enflammt erneut, was in Europa kaum wahrgenommen wird. Fidel Castro übergibt krankheitsbedingt an seinen Bruder Raúl. Am Londoner Flughafen Heathrow werden 21 Terroristen festgenommen. Putsch in Thailand. Die SPÖ wird stimmenstärkste Partei bei der Nationalratswahl. Das Todesurteil gegen Saddam Hussein wird vollstreckt.
Der 11. September liegt schon fünf Jahre zurück und schön langsam gewöhnen sich die Menschen an Worte wie Anschlag und Terrorismus. Damals heißt der Feind noch Al Quaida und nicht IS. Die Welt ist definitiv eine andere, als sie es heute ist. Wie also sollten die Studienanfänger von heute vom gleichen träumen? Wir wollten damals einfach nur studieren, die Welt besser verstehen, in die Politik gehen, etwas bewegen. Keine Ahnung ob das heute noch so ist.
Wenn heute jemand in die Politik will, erntet er Kopfschütteln und so manchen Finger am Hirnkastl. Wenn heute jemand die Welt besser verstehen will, ergeht es ihm kaum anders. Und wer gar etwas bewegen will, der erntet lautes Gelächter. Viel zu kompliziert, viel zu verworren ist alles geworden. Da gibt es nichts mehr zu verstehen, nur noch zu akzeptieren und zu durchstehen. Könnte man meinen. Da empfiehlt es sich, die Weltverbesserungswünsche gleich von Beginn an abzulegen und lieber auf sich selbst zu schauen. Modelabel gründen, mit recycelten Stoffen arbeiten und das eigene Glück schmieden. Vielfach schlauer! Da kommt man selbst voran UND tut noch was Gutes.
In diesem Sommer hat sich die Lage auf der Welt noch ein weiteres Mal verändert. Es war ein heißer Sommer. Nicht meteorologisch, aber in der Debatte. Neben dem allgegenwärtigen Thema Terror, der regelmäßig die Schlagzeilen dominiert, das latente Gefühl der Angst schürt und fragwürdige Bürgerbewegungen beflügtelt, waren es vor allem die Themen Frau und Fremde, die den Diskurs dominierten.
Auf Instagram und Facebook wollten Frauen nackt sein und unbedingt ihre Nippel in Freiheit wissen. In den westlichen Ländern wollten Politiker und ein Teil der Öffentlichkeit, dass Frauen sich nicht verhüllen müssen, Haut und Haar zeigen dürfen. Wieder andere kämpften für das Recht der Frau, verhüllt sein zu dürfen. Verdammt komplizierte Diskussion, die vor allem zwei Dinge aufzeigt. Das Thema Feminismus, die Gleichstellung von Mann und Frau, der Kampf für die Rechte von Frauen ist längt noch keine ausgelutschte Sache und gehört auch nicht in die 70er und 80er verbannt. Und zum anderen sehen wir, wie doppeldeutig, heuchlerisch und hinterlistig Debatten geführt werden. Oder wie soll man es nennen, wenn Rassisten für die Befreiung der arabischen Frau kämpfen?
Es ist heute definitiv schwieriger ein Studienanfänger zu sein, als noch vor zehn Jahren. Aber auch wenn sich die Probleme und Debattenthemen stark verändert haben, bleiben ein paar Dinge dennoch gleich. Die Immatrikulationsstelle ist noch immer unaussprechlich. Mit dem Studium, beginnt das Leben. Und wenn die heutigen Anfänger in zehn Jahren nach hinten blicken, werden die großen Probleme dieser Welt, schon längst wieder andere sein.
Foto (c) Frederick Pfeifer, Bologna 2015