Warum wir nicht noch mehr Blogs, sondern mehr Schönheit brauchen

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Donnerstag Abend in einem urigen Gasthaus in Innsbruck. Es wird immer später. Das nächste Bier kommt. Gespräche über Schönheit entfalten sich. Ein altmodischer Begriff. Aus der Zeit gefallen. Vermeintlich. Denn er hat mit alldem zu tun, was wir im Heute so erleben und erfahren. Er beschreibt das, worunter wir leiden. Wir leiden immer mehr unter einem Mangel an Schönheit und dem Fehlen von Inseln der Zweckfreiheit.
Als Selbständiger merkt man sehr schnell, wie unnatürlich das System eines fixen Gehaltes ist. Wer einmal mit stark variierenden Einnahmen zu tun hatte, die einen manchmal auch an den Rand des Ruins führen, der weiß, dass das Angestellten-Verhältnis nicht die Natürlichkeit besitzt, die wir diesem gerne zuschreiben. Vielmehr ist dieser Zustand des fixen Angestellt-Seins ein Narkotikum und eine Art von Beruhigungsmittel. Wer eine handfeste Anstellung hat, muss zufrieden sein. In diesen unsicheren Zeiten. Wer mit 2000 Euro und mehr nach Hause geht, kann sich glücklich schätzen. Der kann man mit dem sorglosen Leben beginnen. Vor allem aber haben wir es hier mit der Situation eines professionellen Produktiv- und Kreativ-Seins zu tun.
Teodor Currentzis, derzeitiger Mozart-Erneuer und genialer Dirigent, stellt die Frage, ob man Mozart denn als professionellen Musiker bezeichnen könnte. Man merkt schnell, dass er selbst nicht daran glaubt, dass man diesem Komponisten dieses Etikett umhängen kann. Obwohl Mozart natürlich auch Auftragsarbeiten schrieb. Jeder braucht schließlich Geld. Kreativität lässt sich aber nicht in Geld messen. Und bei Kompositionen lässt sich nicht exakt nach der Zeit fragen, in der diese komponiert wurden. Somit ist es auch schwer, den „Wert“ ebendieser zu bemessen.
Im Heute sind wir, auch und vor allem die Kreativen, immer weniger kreativ, sondern zunehmend produktiv. Wir produzieren neue Produkte, neue Ideen, neue Marken. Fast alle sind Ausgeburten einer Verzweckung und Pragmatik. Erschaffen wird, was sich verkaufen lässt, was einen handfesten Nutzen verspricht. Damit verbinden sich diese Produkte und Ideen auch mit der Logik der Kulmination. Wir häufen an, suchen wie besessen nach Unterscheidungsmerkmalen zu anderen Ideen und Produkten. Sind diese gefunden folgt die Angleichung und Nachahmung und somit der Bedarf von weiteren und anderen Unterscheidungsmerkmalen. Diese Maschinerie steht niemals still.
Besonders stark sichtbar wird diese Tendenz auf der Ebene der Blogs. Agenturen haben den Blog als Marketing-Tool entdeckt. Seither wird in strikt marktlogischen Kontexten agiert. Die Anhäufung nimmt kein Ende. Kunden wir Nutzen versprochen. Die Möglichkeit, sich von Mitbewerbern zu unterscheiden. Doch diese Unterscheidungen sind Schimären. Weil auch der Konkurrent bloggt oder bloggen lässt. Weil auch er sich unterscheiden will. Im Wust der Blogs werden Unterschiede nivelliert, weil ein echter Antrieb fehlt. Und ja:  Weil die Schönheit und Zweckfreiheit völlig abwesend sind.
Das klingt alles womöglich anachronistisch. Nach den Ideen und Forderungen eines Elfenbeinturm-Bewohners. Nach unzeitgemäßen Betrachtungen. Doch diese Fragen und Ideen haben mit unserer Gegenwart zu tun. So stark, dass wir unweigerlich zu Fragen wie etwa dem bedingungslosen Grundeinkommen kommen. Würde unsere Arbeit und unser Produktivitäts-Wahn anders aussehen, wenn wir mehr finanziellen Unabhängigkeit hätten? Wären wir glücklicher? Würden wir mehr zweckfreie und schöne Dinge und Ideen produzieren, wenn das so wäre? Ich denke ja.
Denn das ist der Widerspruch schlechthin. Indem alles der Logik des Nutzens und der Unterscheidung unterworfen wird, entstehen für Menschen zutiefst nutzlose Produkte und Ideen. Was gibt es nutzloseres als einen strikt auf Kundennutzen ausgerichteten Blog? Der Leser soll dabei lediglich dazu überredet werden, zu kaufen, zu konsumieren. Er wird überrumpelt und mit emotionalen Tricks dazu gebracht, Produkte zu kaufen, Seiten anzuklicken oder Urlaube zu buchen.
Dabei wird der potentielle Kunde als Leser und Konsument von Schönheit vergessen. Außerdem entstehen die schönsten und womöglich besten Ideen und Produkte abseits von striktem Zeitdruck und Geldnot. Wer sich zu sehr in das Hamster-Rad des sich stets beschleunigenden Marktes einspannen lässt, übersieht womöglich tatsächlich nützliche Ideen. Der ist viel zu sehr damit beschäftigt, mit dem Tempo Schritt zu halten. Der ist von der Angst angetrieben, seinen Job zu verlieren, wenn die Produktivität sinkt und der Qualität der Vorzug gegenüber der Quantität gegeben wird.
Was also tun? Zumindest hin und wieder aussteigen. Langsamkeit der Schnelligkeit gegenüber stellen. Mit vermeintlicher Nutzlosigkeit der „Vernutzung“ von allem und jedem entgegen treten. Es ist notwendig. Und allerhöchste Zeit.

Titelbild: (c) Evan Hamilton, flickr.com 

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

3 Comments

  1. Hi,
    ich denke das kann man nicht verallgemeinern. Klar gibt es die Blogs, die nur auf Verkäufe achten, aber niemand ist gezwungen, diese auch zu nutzen. Ohne Mehrwert werden auch die Firmen irgendwann die Blog wegrationalisieren und was übrig bleibt ist das, was wirklich Nutzen bringt.
    Außerdem ist jeder Blogger irgendwie anders und für sich selbst ein Kunstschaffender, auch wenn er Werbetexte postet. Von daher kann ich dir hier leider nicht vorbehaltlos Recht geben 🙂
    VG,
    Thomas

  2. Lieber Markus, danke, dass du hier deine Sichtweise teilst, ich fand deinen Artikel sehr interessant. Gerade was du in Bezug auf die Selbständigkeit schreibst, kann ich gut nachempfinden. Ich denke es ist schwierig, die Balance zu finden zwischen „wo bin ich kreativ und frei“ und „welche Inhalte – sprich Werbung – brauche ich, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Für mich ist das Ziel, wertvolle Inhalte für meine Leserinnen zu schaffen, die teilweise von einem Werbepartner unterstützt werden. Das ist mein Ansatz bei dem Versuch, beides bei größtmöglicher Freiheit auf einen (schönen!) Nenner zu bringen. Konkret schaffe ich das momentan bei meiner „Montessori“ Reihe, in der ich Inhalte schreibe, der hoffentlich echten Mehrwert bietet und meine Leserinnen interessiert. Diese Artikel sind „sponsored by“ einem wunderbaren Label, das selbst von einer Mama gegründet wurde. Was meinst du zu der Variante?

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