Illustration (c) Felix Kozubek und Stefanie Aigner.
Wie uns das Fernsehen suggerieren möchte, scheinen wir ja in einer Zeit der Supertalente zu leben. Eine Entwicklung vom Normalo zum Supertalent kann ganz schön lange dauern und ist oft ein steiniger Weg. Da kommt man etwa als brüllendes Bündel auf die Welt und hat sich 30 Jahre später zu einem hocheloquenten Rhetoriker entwickelt. Dies ist allerdings ein schlechtes Beispiel, da wir gar keinen Rhetorikern bei Supertalentshows begegnen. Es wäre aber ein sehr gutes Beispiel, da gerade beim Thema Rhetorik der Unterstützungswille der Erwachsenen den Kindern gegenüber kaum vorhanden ist und die Entwicklung dorthin wirklich ein Supertalent benötigt.
Neulich ging ich zum Hautarzt, um meine jährliche Muttermalkontrolle über mich ergehen zu lassen. Nach der Anmeldung betrat ich das Wartezimmer, sprach ein „Grüß Gott“ ins Kollektiv und von der 12-köpfigen Ü50-Runde vernahm ich ein paar Murmler als Antwort. Kurz darauf kam eine Mutter mit einem ca. einjährigen Kind herein und die Stimmung änderte sich schlagartig. Zuerst stellte man die obligatorischen Fragen: „Bub oder Mädchen?“, „Wie alt ist sie denn?“ (erschreckend die Parallele zu den Fragen an Hundebesitzer). Dann wurde die Kontaktaufnahme mit dem Kind gestartet. Dabei erschien die Ansprache weniger einem zwischenmenschlichen Dialog zu entsprechen, sondern erinnerte mich an einen „Silly Noise Contest“. Schnalz-, Pieps,- und Gurrlaute wurden dann von Sätzen wie: „Maaachst du fein trinki, trinki“ abgelöst. Die Erwachsenen schienen zufrieden, das Kind eher verwirrt. Dabei fiel mir dann eine weitere Parallele auf: anscheinend verwendet man in der Unterhaltung mit Kindern genauso inkorrektes Deutsch, wie mit dem schlecht deutschsprechenden Bauarbeiter aus der Türkei. Wie dem auch sei, irgendwie ließ mich dieses Ereignis nicht los und ich stieß auf eine längst verdrängte Erinnerung aus meinen ersten Jahren.
Wie es häufiger vorkommen dürfte, gab es während meiner Kindheit rund um mich und meine Eltern diverse Bekannte mit gleichaltrigem Nachwuchs. Eines dieser Paare lud immer wieder größere Runden zu sich ein. Nachdem Kinder und Erwachsene den Nachmittag mit Spiel und Kuchen verbracht hatten, kam es dann zu einem seltsamen Familienritual. Die Mutter zückte ein verlebtes Kuscheltier und begann mit verstellter Quietschstimme, sich mit ihrem Sohn zu unterhalten. Also nicht sie sprach, sondern das Psychokuscheltier mit Horrorstimme. Anfangs (das Ritual zog sich über einige Jahre) hatte ich eher Angst, später war es mir peinlich. Wie es dem Sohn ergangen ist, kann ich nicht sagen. Doch eines habe ich daraus gelernt: Wenn man sich mit Erwachsenen nicht so unterhält, dass man wie ein Geflohener aus der Psychiatrie wirkt, dann lohnt es sich mit Kindern auch so zu kommunizieren.