Liebe Multi-Kulti-Enthusiasten: Ihr irrt euch ganz gewaltig

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Der Diskurs ist breiter und komplexer geworden. Noch vor wenigen Jahren waren die Fronten klar. Wer sich als Intellektueller bezeichnete oder diese höheren Weihen erhalten wollte, musste sich politisch klar und immer wieder links der Mitte positionieren. Ebendieser Intellektuelle sprach sich so oft wie möglich mit Vehemenz für eine bunte, multi-kulturelle und vielfältige Gesellschaft aus. Es galt dem Nationalismus und der Rückschrittlichkeit anderer Narrative Einhalt zu gebieten.
Die Situation hat sich verändert. Spätestens seit den massiven Migrations-Bewegungen Richtung Europa und vor allem Richtung Deutschland hat sich die Debatte verkompliziert. Nichts ist mehr eindeutig. Nach der anfänglichen Willkommens-Euphorie ist Ernüchterung eingekehrt. Zumindest aber haben sich die Positionen von Schreibenden und Denkenden vervielfältigt. Was früher unsagbar und unsäglich war wird nun im Rahmen von abweichenden Erzählungen denkbar und sagbar.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand. In anfangs guter Absicht wurden Meinungen mit gut sortierten und gewählten Bildern gelenkt. Nicht vornehmlich Männer kamen mit der Migrations-Bewegung nach Deutschland, sondern primär junge Frauen mit Kindern. Hinter dieser Bildsprache ließ sich klar die Intention der Mitleids-Erregung ausfindig machen.
Nicht dass Mitgefühl und Mitleid per se schlechte Gefühle wären. Aus politischer Sicht sind diese Gefühle aber nur bedingt gute Ratgeber. Auf alle Fälle wurde mit der Vorherrschaft der Willkommens-Gefühlsseligkeit und der medialen Lenkung in ebendiese Richtung der Kritik an dieser selektiven Darstellung Tür und Tor geöffnet.
Die Kritik fiel zunehmender harscher aus. Sinngemäß wurde die hysterische Euphorie der Willkommens-Kultur-Befürworter angegriffen. Neben dieser „hysterischen“ Euphorie, die sich mit ganz viel Moral und Distinktion schmückte, war zweifellos zu wenig Platz für sachliche, differenzierte Diskussionen, wie sinnvoll und machbar mit der neuen Situation in Europa umzugehen sei.
Damit wurden die Positionen endgültig verwirrt. Früher hatte sich der „linke“ Intellektuelle gegen Massenmeinung, Gefühlsseligkeit und mediale Lenkung gestellt. Zunehmend befand er sich jetzt in einem irrationalen Gefühls-Sumpf, den es lediglich gebetsmühlenartig zu wiederholen galt. In der Hilflosigkeit dieser Wiederholungen zeigte sich bereits die Befürchtung, dass die Stimmung baldigst kippen und sich erste Stimmen zu Wort melden, die das Konzept Multi-Kulti als gescheitert stigmatisieren würden. Plötzlich stand das ganze Narrativ der bunten, weltoffenen und vielfältigen Gesellschaft auf dem Spiel. Wenn es darum, also ums Ganze, ging durfte man auch als denkender Mensch schon mal sein kritisches Bewusstsein hintan stellen.
Und es geschah dennoch. Die Stimmung kippte. Zunehmend wurde medialen Bildern und Berichten misstraut oder die ideologische Einfärbung der Berichterstattung kritisiert. Die einst als Intellektuelle agierende Gegenseite hielt dagegen. Zunehmend mit Brandmarkungen von abweichenden Meinungen und Berichten.
Aus dieser Verhärtung der Fronten lässt sich vor allem eine neue Aufgabe der Intellektuellen ableiten. Der Intellektuelle hat sich selbstverständlich für eine offene und vielfältige Gesellschaft einzusetzen. Aber er hat Probleme, die sich im Zuge der Migration und der Integration ergeben klar zu benennen. Er hat Manipulationen der Massenmeinung deutlich und mit Nachdruck zu beschreiben und offen zu legen. Er hat seine Position immer wieder zu hinterfragen und in Denkbewegung zu bleiben.
In den letzten Monaten hat vor allem ein massiver Vertrauensverlust stattgefunden. Es ist ein Alarmsignal, dass nicht mehr den potentiell komplexen und differenzierten Erzählungen und Beschreibungen der Intellektuellen vertraut wird, sondern den vereinfachten und vereinfachenden Narrativen von politischen Polterern und Demagogen.
Es muss etwas geschehen. Wir dürfen uns nicht in politischen Grabenkämpfen verlieren. Wir müssen die Debatte um Migration und Multi-Kulti offen, sachlich und ohne Scheuklappen führen. Denn ansonsten ist die offene, bunte und vielfältige Gesellschaft endgültig verloren. Anders gesagt: Die Situation ist zu komplex und unübersichtlich, als dass wir  sie den Multi-Kulti-Enthusiasten überlassen sollten. Es muss gründlich und ohne Einschränkungen nachgedacht werden. Nur dann schaffen wir das.

Titelbild: (c) Seven Resist, flickr.com

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

4 Comments

  1. Du benennst einen Diskurs, leistest aber keinen Beitrag zu diesem. Völlig überflüssiger Text.
    Wer sagt denn, dass ausschließlich „Multi-Kulti-Enthusiasten“ (hättest auch gleich Gutmensch schreiben können) den Diskurs bestimmen? Geh mal aus dem Haus und lass die Finger von der Tastatur falls dir die Ideen ausgehen anstatt ‚Analysen‘ abzugeben die 3 Jahre zu spät kommen.

    • Sehe ich auch so. Dann lieber linksfaschistischer Bahnhofsklatscher als intelektuell so aufgeheizt, dass Mitleidserregung ein Etikett wird (statt als fake label Flüchtlinge zu verhöhnen).
      Ich fliehe nicht mehrere tausend Kilometer, weil mir das Spaß macht und kriminelle Machenschaften vorzugsweise fernab meiner Familie plane. Sondern aus echter Not, und sei es die, nicht genug zu Essen zu haben – call them Wirtschaftsflüchtlinge, I call you intellectual wanker.

  2. Guter Artikel, der den Nagel auf den Kopf trifft. Dem Kommentator Peter muss ich entgegenhalten, dass unser Asyrecht nicht für Menschen in Not gemacht ist. Wenn wir aber alle Menschen die in Not sind aufnehmen, das sind lt. Uno ca. 300 Millionen, dann haben wir in Deutschland nur noch Stehplätze.
    Hier ein paar Nachweise für diese Zahlen: http://www.spiegel.de/wirtschaft/wanderarbeiter-in-china-knechte-des-booms-a-470890.html
    in Indien leben 30 % unter der Armtusgrenze = 363 Mill. sind am Existenzminimum, Nachweis http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-07/indien-armutsgrenze-bericht-hilfsprogramme
    in Afrika leben 300 Mill. von weniger als 1 Dollar pro Tag, Nachweis: https://www.benjaminschlegel.ch/blog.php?id=9
    Eine Milliarde Menschen leben laut UNO unterhalb der Armutsgrenze, Nachweis:
    http://www.welt.de/print-welt/article675760/Eine-Milliarde-Menschen-leben-laut-UNO-unterhalb-der-Armutsgrenze.html

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