Die Gewissensbisse waren wirklich nicht klein. In meiner grenzenlosen Wut und Provokationslust hatte ich mich dazu hinreißen lassen das allseits bewunderte und geschätzte Ö3-Weihnachtswunder zu dissen. Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten. Bald standen Vorwürfe wie Clickbait im Social-Media-Raum. Eine Studentenzeitschrift gut gefüllt mit engagierten Jung-Schreiberlingen schrieb gar einen Gegentext, der die allzu seichten und durchschaubaren Mechanismen des Textes schonungslos offen legte.
Mein Bild dazu war klar. In einem stillen Kämmerlein in den hochheiligen Hallen der Redaktion saßen junge, hochgradig engagierte Jung-Journalisten, die in stundenlanger Recherche-Arbeit nach Themen suchten. Kein Wunder, dass sie die unbedachte Wut eines Schreiber-Kollegen auf die Palme brachte. Hier standen sich mühsames und jahrelang erlerntes Handwerk und ein skizzenhafter Impulstext feindlich gegenüber. Hier kollidierten der Anspruch auf Objektivität, Tiefgang und Originalität mit den selbstherrlichen und egomanischen Wut-Phantasien eines selbsternannten Kultur-Kenners.
Papier und das Internet sind aber geduldig. Ein zutiefst journalistisches Projekt darf sich keinesfalls in bloßer Abgrenzung zu anderen Texten und Magazinen positionieren. So eine Zeitschrift muss schon selbst ran und zeigen, was sie unter journalistischer Sorgfalt, Orginalität und unter gutem Handwerk versteht.
Eine gute Zeitschrift muss am Puls der Zeit sein und soll die wirklichen Probleme und Themen von jungen und junggebliebenen Menschen behandeln. Die besagte, mich gedisst habenden Studentenzeitschrift belegt das immer wieder eindrucksvoll. Youtube-Stars und Unterhosen wurden und werden zum Thema gemacht. Nicht nur die Platzprobleme in Hörsälen und anderswo ärgerten und bedrückten die Studierenden der Hauptstadt der Alpen, sondern auch ihre Unterwäsche.
Man mag sich gar nicht vorstellen, wie viele Studierende nach der Lektüre dieses feinen Unterhosen-Textes jetzt ohne Unterwäsche und somit endlich befreit von diesen Zwängen in den Bibliotheken dieser Stadt sitzen. Das ist Journalismus, der wirkt. Das sind Texte, die nicht nur provozieren, sondern auch bei den Menschen ankommen und geliebt werden. Damit generiert man Candystorms statt Shitstorms.
Überhaupt ist das journalistische Handwerk wichtiger als je zuvor. Im Online-Bereich darf man nämlich nicht auf die allzu einfachen Mechanismen reinfallen. Natürlich wird die Social-Media-Maschine von Hass, Erregung und Wut angetrieben. Wer viel Wut und Hass in diese Maschine investiert, bekommt auch viel zurück. Zum Beispiel gute Click-Raten, wütende Kommentare und ganz generell Aufmerksamkeit. Doch solche Mechanismen nutzen sich schnell ab. Dann bleibt nur noch der Rückzug. Wird man erst von allen gehasst, wird auch der Hass schnell langweilig. Dann hilft nur noch Romane statt Kolumnen schreiben. Oder sich eben an den jungen Kollegen und ihrem Leuchtturm-Projekt ein Vorbild nehmen.
Mittlerweile bereue ich was ich getan habe. Sehr sogar. Ich habe mich hinreißen lassen und bin der Sorgfaltspflicht des journalistischen Arbeitens abhanden gekommen. Genauso so sehr, wie ich der Welt abhanden gekommen bin. Ich habe das Gespür für Trends, neue Bands und neue Lokale vollständige verloren. Ab sofort werde ich, als jemand der den Anschluss verloren hat und seit Jahren das gleiche Unterhosen-Modell trägt, einfach schweigen. Ich habe ihn einfach nicht mehr, diesen unbedingt notwendigen kritischen und kreativen Blick auf die Welt und den Alltag. Meine Unterhosen haben mich noch nie beengt, im Gegenteil mag und schätze ich diese sogar.
Metaphorisch gesprochen: Ich habe es mir in meiner Mini-Nische allzu bequem gemacht, habe die Zwänge der Gesellschaft aus den Augen verloren. Das was eigentlich mein Gefängnis ist, nehme ich als wunderschönen Elfenbeinturm wahr, aus dem heraus sich immer wieder schöne Wut-Texte schreiben lassen, die das Gute, Schöne und Wahre verteidigen. Ein Kampf gegen Windmühlen. Man muss wissen wann es genug ist. Selbst Erwin Pröll wusste es. Niemand kann eine Autorschaft weiter verantworten, deren Zeit abgelaufen ist. Es ist Zeit Platz zu machen für jüngere Schreiber-Kollegen.
Wer hätte gedacht, dass ein kleiner Diss-Text einer Studentenzeitschrift mein Leben so verändern würde. Wer hätte angenommen, dass meine 10-Minuten Ruhm ausgelöst durch das zitieren meiner Headline mein Leben so auf den Kopf stellen würden. Aber es ist geschehen. Jetzt heißt es die Konsequenzen daraus zu ziehen und zu schweigen. Womöglich für immer.
Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".