Hubert von Goisern hat dem „Standard“ einen Brief geschrieben. Um diesen zu veröffentlichen fehlte der Redaktion, laut einer Aussage von von Goisern selbst, der „Mut und Sportsgeist“. Aus diesem Grund stellte er den Brief auf die eigene Homepage. Seither geistert der Brief halbviral durch die sozialen Netzwerke.
Als Anlass dieses unerwarteten Briefwechsels ohne Antwort des Adressaten diente Hubert von Goisern die Rezension von „Magic Life“ der österreichischen Band „Bilderbuch“. Christian Schachinger verriss die Platte in altbewährtem Schachinger-Stil. Der Clou der Sache dabei ist stets, dass unklar bleibt, ob es sich überhaupt um einen Verriss handelt oder eher um ein halb- bis ganzlustiges ganz bewusstes Anpatzen einer Band, die im Moment sonst fast allerorts gefeiert wird. Schachinger will streiten quasi.
Diese Rezension jedenfalls machte den Musiker, Künstler und Weltbürger von Goisern wütend. Er schließt den Brief mit einer Aufforderung an den Miesepeter Schachinger: „Versuch dich doch einmal an einem Roman und reagier dich an fiktiven Figuren ab – mit anderen Worten, werde selber Künstler.“
Ob bewusst oder unbewusst spricht von Goisern Schachinger an dieser Stelle sein Künstler-Sein ab. Ob er es nicht wusste, dass Christian Schachinger ein Musiker-Kollege ist? Über die Qualität seiner Gitarrenkünste bei „Shampoo Boy“ lässt sich natürlich vorzüglich streiten. Hubert von Goisern, und das ist fast noch übler, befeuert aber eine alte Dichotomie zwischen Künstler und Nicht-Künstler. Der Künstler macht Kunst. Der Kritiker kritisiert vor allem deshalb, weil er selbst nicht dazu in der Lage ist Kunst zu produzieren.
Mit dieser Dichotomie fangen wir uns ein altbekanntes und wenig bewährtes Klischee ein. Auf Kunst hat man gefälligst mit „Gegenkunst“ zu reagieren. Kunst inspiriert und lässt sich weiterdenken. Wer anhand eines großen Kunstwerkes den Drang verspürt selbst Künstler zu werden, hat das Wesen der Kunst verstanden. Vor guter Kunst hat man entweder ob ihrer Großartigkeit zu erstarren und in Demut zu versinken oder man hat sich mit ihr mit seiner eigenen Kunstfertigkeit zu messen.
Der Kritiker nimmt in diesem Kontext eine parasitäre Rolle ein. Er patzt das Kunstwerk an und nimmt diesem den Anstrich seiner auratischen Bezugslosigkeit und Einzigartigkeit. Er vergleicht und schätzt ein. Er reagiert nicht mit einem neuerlichen Werk auf ein Stück Musik oder Malerei, sondern er schreibt darüber. Wenn er es als legitim und angemessen empfindet, verreißt er ein Kunstwerk. Oftmals wird das zum Spiel um Resonanz zu erzeugen, zumal Leser dazu neigen sich über Verrisse mehr aufzuregen als über sachliche Abhandlungen.
In fast jedem Fall wird bei einem Verriss der Vorwurf laut, der Kritiker hätte wenig bis keine Ahnung davon, wie viel Aufwand und Herzblut in der Produktion und Herstellung des vorliegenden Werkes steckten. Er habe leichtfertig gehandelt, habe es sich als Nicht-Künstler einfach gemacht und lediglich das vorliegende Werk kritisiert und sich mit den damit zusammenhängenden Prozessen im Hintergrund zu wenig beschäftigt.
Solche Argumentationslinien übersehen, dass der „Nicht-Künstler“ womöglich Kritiker geworden ist, weil er die Position des Hörers und Betrachters liebt. Nicht aus Angst oder Nichtkönnen stellt er sich nicht auf die Bühne, sondern weil er sich der medialen Kunstvermittlung verschrieben hat. Im Dickicht der täglich zahllosen Veröffentlichungen, zum Beispiel im Musikbereich, kann der Kritiker Orientierung anbieten.
Er kann mögliche Zugänge zu komplexeren Kunstwerken aufzeigen. Er ist nicht Künstler, aber er ist zumindest Kunsthandwerker. Mit seiner Kunstfertigkeit und seinem Kunstwissen entschlüsselt und analysiert er Stücke, Werke, Alben, Malerei und vieles mehr. Er macht, wenn alles optimal verläuft, auf ein seiner Meinung nach gelungenes Werk aufmerksam und hilft dem Leser dabei aus seiner Sicht wenig gelungene Werke zu meiden. Schließlich ist die Zeit zu knapp für schlechte Musik und schlechte Kunst insgesamt.
Man täte also gut daran, die beiden Ebenen so zu belassen und nicht gegeneinander auszuspielen. Der Brief von Hubert von Goisern zeigt klar, dass das nicht der Fall ist. Das Zusammentreffen dieser zwei Charaktere zeigt aber auch Probleme auf, die in der derzeitigen Kunstkritik bestehen. So scheint von Goisern Kritiker und Kritik immer noch als mehr oder weniger parasitäre und überflüssige Erscheinung und weniger als Multiplikatoren und Kündern von hörenswerter Kunst wahrzunehmen.
Andererseits verliert sich Christian Schachinger immer wieder in Konstruktionen, die wenig bis nichts über das eigentliche Werk aussagen, sondern lediglich Aufschluss über die Befindlichkeit des Autors geben. Er führt sehr oft mehr seine eigene Kunstfertigkeit vor als er die Kunst würdigt und bewertet, die auf den ihm vorliegenden Alben zu hören ist. Ein Autor darf und soll sich in Kritiken einschreiben. Er darf aber nicht nur über sich schreiben und die Kunst links liegen lassen.
Was aber würde geschehen, wenn Christian Schachinger tatsächlich ein guter Musiker und ein herausragender Künstler wäre und sich nicht nur bei Shampoo Boys Gigs vor den Konzerten betrinken und dann lustlos und wenig interessant an seiner Gitarre herumsägen würde? Was wäre die Konsequenz daraus, wenn Hubert von Goisern sich nicht nur bei bestimmten Anlässen zu Wort melden und einen Kritiker kritisieren würde, sondern selbst Kritiker wäre?
Eine schwer zu beantwortende Frage. Womöglich würde von Goisern künstlerische und kunstnahe Verfahren in der Herstellung einer guten, lesenswerten und nützlichen Kritik bemerken. Unter Umständen würde Schachinger feststellen, dass das dauerhafte und nachhaltige Herstellen von interessanter Musik viel Zeit, Übung und Schärfung des eigenen Handwerks benötigt. Es würde seinen Respekt vor der Kunst stärken und ihn vielleicht eine abfällige und witzig-verletzende Anmerkung weniger schreiben lassen.
Es täte somit beiden Seiten gut. Fortan könnten sich dann Kritiker und Künstler ihre jeweilige Arbeit tun lassen und könnten Respekt voreinander haben. Schließlich würde die Kritik ohne interessante Musik und Kunst sehr alt aussehen und interessante Kunstwerke und Musikstücke würden ohne Kritiker womöglich unbemerkt bleiben.
Titelbild: (c) Christoph Thorwartl, flickr.com
Toller Artikel, vielen Dank, jedes Wort ein Treffer!
Der Autor hängt sich hier an einen Satz von Hvg auf, den restlichen offenen Brief ignoriert er. Hvg gings ja in erster Linie um die Wortwahl und den Ton und nicht darum ob Kritik an Bilderbuch gerechtfertigt ist oder nicht. Genau die Nichtdifferenzierung die der Autor HvG unterstellt, betreibt er damit selbst.
Das kann man so sehen. Ich habe mich auf einige Aspekte des Briefes beschränkt, an denen man das Verhältnis von HvG zu Kritikern ablesen kann. Das finde ich legitim.