Schreiben Sie, Moneypenny!

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Dem leidenschaftlichen Journalismus, der jenseits von Klicks und Likes echtes Interesse an der Welt hat, sie begreifen und vielleicht sogar verändern will, hat man genug Ritalin verabreich, um ihn für die nächsten Jahrzehnte lahm zu legen. Er liegt weich gebettet neben Kunst und politischem Engagement.
Der sachliche Journalismus, der zuerst nachfragt, besonnen formuliert und Räume für die Diskussion offen lässt, hängt besoffen und schwermütig an der Bar, um sich selbst zu bemitleiden. Man kann auf Dauer nicht nüchtern bleiben, wenn alle anderen durchdrehen. Es ehrt ihn, dass er sich mies fühlt.
Der investigative Journalismus, der konfrontiert, der in die Diskussion geht, der seinen Stoff aus versifften Hinterhöfen und Spelunken bekommt, liegt halbtot im Straßengraben. Die Kommentatoren würden ja aus dem 25. Stockwerk auf ihn runterspucken, aber leider lassen sich die Glasfronten ihrer Büros nicht öffnen.


Der Stoff hat schon zu oft die Runde gemacht…


Der heutige Journalist – sofern er sich nicht mit hübschen Erlebnisberichten begnügt – muss sich an APA-Meldungen halten, die irgendwann morgens eintrudeln, wenn er zu Löskaffee und Ö3 den Laptop hochfährt. Dann ersauft er sogleich in der Informationsflut, die sich angesammelt hat, als an anderen Orten dieser Welt die Uhren weiter liefen.
Die Wissensfetzen und Schlagzeilen, aus denen er den ersten Artikel des Tages zusammenflickt, bevorzugt unter Mithilfe eines Textgenerators, sind wie der Joint vom Vorabend, wenn er schon fünfmal die Runde gemacht hat. Grundsätzlich guter Stoff, aber er war einfach schon in zu vielen Mündern und Fingern. Jetzt ist er verwässert, komprimiert und substanzlos. Aber das ist gleich. Denn der Journalist ist die adrette und dienstbeflissene Sekretärin des Algorithmus.
Wieso der Journalist, der eigentlich selbst eine Mittlerrolle hat, nur mehr mit Material arbeitet, das ihm medial vermittelt wurde? In einem einzigen großen Spiel aus Kommentar und Meta-Kommentar und Meta-Meta-Kommentar? Was er weitergibt, hat er selbst irgendwo gelesen. Einem Politiker ans Bein zu pissen, bedeutet, ihn auf etwas festzunageln, was er andernorts gesagt hat. Was er getan hat, ist ziemlich nebensächlich. Recherche bedeutet, ein neues Browserfenster zu öffnen.


… und die Zeit der kleinen Kaliber ist vorbei


Weil es nun mal große, dramatische Meldungen braucht. Und wenn sich irgendwo wieder jemand in die Luft jagt, ist man blöderweise selten grade um die Straßenecke. Aber anderer Leute Handyvideos auf youtube reichen als Quelle völlig aus.
Wenn sich ein großes Referendum wieder mal als Desaster der Demokratie herausstellt, hat man selten als erster das Ergebnis gehört. Aber man kann es googlen.
Wenn sich ein hochrangiger Politiker beim Gendern vertan hat oder sonst irgendwie krass sexistisch war, haben das zumeist schon 500 000 Leute im Fernsehen gesehen.
Aber egal. Es braucht große, dramatische Meldungen.
Das, was nebenher abgeht, auf der Straße, in Bahnhöfen, Schulen oder Drogenumschlagplätzen, das Subtile, Komplexe, nicht sofort Sichtbare, ist uninteressant. Das, was sich nicht in maximal drei Sätzen darstellen, einordnen und bewerten lässt, ist auch kaum relevant. Das, was eigentlich darüber entscheidet, in was für einer Gesellschaft wir leben – und das ist nicht immer unbedingt die große Politik – ist oft zu vielschichtig, um die gewünschte Empörung hervorrufen zu können. Dem Journalismus geht die Welt am Arsch vorbei.
Und was kann eine wütende Kleinkaliber-Online-Journalistin in solchen Fällen schon tun? Sich echauffieren, klar. Das beherrscht sie ja. Spucken, geifern, polemisieren, mit dem Finger auf andere zeigen. Sie könnte auch einen Raum eröffnen, sich auf etwas anderes beziehen, überlegen, was Not tun würde.
Ich will es mit zwei Beispielen versuchen. Vielmehr: Ich will im 20. Jahrhundert nach heroischen Gegenbeispielen wühlen. Genauer gesagt, in Darstellungen des 20. Jahrhunderts. Intermediale Bezüge, na gut. Was will ich tun? Ich bin ein Kind meiner Zeit. Ich gebe euch meine großen journalistischen Helden.


The Hour


2011 produzierte die BBC „The Hour“ eine sehr viel versprechende Miniserie über drei junge Journalisten, die die erste kritische Nachrichtensendung in einem von Seilschaften und einer bornierten Oberschicht auf die Füße stellen wollen. Nach zwei Staffeln musste „The Hour“ wieder aus dem Programm genommen werden.
Der Protagonist Freddie Lyon ist nur insofern ein James-Bond-Typ, als er seine Vorgesetzte konsequent „Moneypenny“ nennt. Ansonsten kämpft sich der dürre East-End-Londoner ausschließlich durch konsequentes Nerven und Nachbohren durch die Welt und riskiert dafür laufend Job, Kopf und Kragen. Er fragt nach, wo andere schon längst nicht mehr hinschauen. Er sieht sich nicht wie unsereiner die Parlaments-Debatte im Fernsehen an, sondern geht hin, um die großen Herren nach der Sitzung auf ihrer schlechten Politik festzunageln. Zwischendurch zitiert er E. E. Cummings. Das ist natürlich alles heillos romantisiert.


Die Unbestechlichen


Wer faktische Helden will, kann sich besonders zu Zeiten, da man sich einen Richard Nixon sehnlichst zurückwünscht nur zweien zuwenden: Bob Woodward und Carl Bernstein, die so mancher Cineast als Robert Redfords und Dustin Hoffmans beste Rollen kennt. Die beiden Washington-Post-Reporter deckten 1972 den Watergate-Abhör-Skandal auf.
Woodward wurde während einer Gerichtsverhandlung zum Einbruch in den Watergate-Komplex, dem Hauptquartier der Demokraten in Washington, auf einen Nebensatz aufmerksam, in dem sich einer der Angeklagten als Ex-CIA-Mitarbeiter outete. Die weiteren Informationen kamen von einem FBI-Mitarbeiter, „Deep Throat“, den Woodward regelmäßig in der Tiefgarage traf.
Zu dem Zeitpunkt war die CIA schon längst eingeschaltet, aber zumindest dieses Mal siegte die Pressefreiheit. Die Regierung Nixon bekam einen ordentlichen Rüffel, der große Boss selbst musste knapp zwei Jahre später zurücktreten.


Was ist guter Journalismus?


„I think journalism gets measured by the quality of information it presents, not the drama or the pyrotechnics associated with it“, schrieb Bob Woodward später. Wie altmodisch. Information ist out. Wir leben in einer quietschbunten Bilder-und-Befindlichkeits-Matrix voller wunderbarer Möglichkeiten.
Auch einem Journalist bieten sich täglich hunderte Möglichkeiten, die Pappen aufzureißen und eine Position zu haben. Aber eine Perspektive macht aus logischen Gründen nur da Sinn, wo es auch etwas zu sehen gibt. Vielleicht auch nur zu hören, oder zu ahnen. Wo man etwas erst herausfiltern, begreifen, überhaupt erst denken muss. Wo nicht schon alles richtig kategorisiert ist, sondern man sich in allerhand Grauschattierungen zurechtfinden muss. Wo man vor allem wach und aufmerksam sein muss für das, was um einen herum passiert. Aber Schwarz-weiß mitsamt seinen Grauschattierungen ist out. Schwarz-auf-weiß noch viel mehr. Wir leben im postfaktischen Zeitalter.
Es wäre durchaus angebracht, ein bisschen altmodisch zu sein.


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Titelbild: (c) https://www.mptvimages.com/

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