Alkohol ist gefährlich. Das weiß schließlich jedes Kind. Erst kürzlich bin ich dankenswerterweise abermals darauf aufmerksam gemacht worden. Verwahrlost und müde streifte ich durch ein Innsbrucker Einkaufszentrum. Die Aktion „Nachdenken statt nachschenken“ fiel mir sofort ins Auge.
Da ich offenbar wie ein alkoholaffiner Mensch aussehe wurde ich auch prompt angesprochen. Und das obwohl ich an diesem Tag weder Restalkohol vorzuweisen hatte noch Jugendlicher war. Offenbar ging es aber um mehr. Ich hatte, als Enddreißiger, Verantwortung zu tragen und ein gutes Vorbild zu sein. Darum kreiste auch unser Gespräch. Nicht zu vergessen natürlich, dass man als Vater von zwei Kindern einen schlechten und verdammenswerten Eindruck hinterlässt, wenn man sich schon kurz vor den Abendnachrichten ein Dosenbier aufreißt.
Das Gespräch mit den engagierten jungen Menschen hat mich endlich wieder darauf aufmerksam gemacht. Selbst den abgedroschenen Witz den Spruch umzudrehen konnte ich mir verkneifen. Nachschenken statt nachdenken war keine Alternative und auch keine gelungene Verdrehung der überaus löblichen Intention.
Ich ging nachhause und machte mir ein Bier auf. Schließlich war es schon nach vier und Wochenende. Ich stellte mir vor wie es wäre Alkoholiker und Spiegeltrinker zu sein. Wunderschön musste das sein. Man könnte sich befreien von all den Terminen und könnte immer leicht einen sitzen haben. Langsam aber sehr sicher würde man zuhause in der versifften Wohnung verwahrlosen und vereinsamen. Die lästigen Anrufe von Freunden würden sich zunehmend verringern. Die Störungen beim Hören von menschenverachtender Untergrundmusik würden bald ausbleiben.
Überhaupt ist das Gefühl ganz wunderbar. Bereits nach dem ersten Bier kommt man langsam in eine Art von Flow-Erlebnis. Die Zeit wird relativ, Musik wirkt anfangs intensiver. Teile meiner Person wären gerne Alkoholiker. Ich säße in Bars und startete meinen Alkoholkonsum schon am frühen Nachmittag.
Das Gefühl, dass man angestarrt wird verflüchtigte sich sehr bald. Die Gefühl der Einsamkeit fiele sehr bald ab. Vom Beobachtenden würde ich stets bald zum Beobachter. Wenn Zeit und Raum verschwimmen wird der Blick auf kleine Details gelenkt. Auf kleine zwischenmenschliche Gesten. Wer selbst keinen zwischenmenschlichen Kontakt mehr hat wird aufmerksamer solchen Situationen gegenüber.
Der Claim „Nachdenken statt nachschenken“ käme mir völlig absurd vor. Er erschiene mir als das Grundübel schlechthin. Wir denken zu viel nach und saufen zu wenig. Die pure Vernunft hat uns im Griff. Pädagogische Intentionen umgeben uns. Gesundheitsbejahende Konzepte beherrschen uns. Wer konstant in geringen Abständen trinkt nimmt sich sein gutes Recht auf eine ungesunde Dosis Selbstzerstörung heraus. Wer trinkt, steht nicht am nächsten Tag auf und ist funktionsfähig. Trinken ist die Priorisierung der Dysfunktionalität.
Gerne würde ich die eingangs erwähnte Aktion unterstützen. Nur kann ich nicht. Ein Teil von mir hat genug von Vernunft, vom Nachdenken und schenkt sich lieber noch einen Schluck nach.
Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".