Das Setting war an sich einfach. Ein preisgekrönter Jungkoch wurde nach einem Rezept gefragt. Ebendieses präsentierte ein bekanntes und wichtiges Tiroler Medium einer breiteren Öffentlichkeit. Der auch sportlich fitte Koch, denn niemand nimmt einem fetten Koch seine raffinierte und zugleich leichte Küche ab, entschied sich dafür Murmeltier zu kochen. Auch 20 Milliliter Schweineblut durften in seinem Serviervorschlag selbstverständlich nicht fehlen.
Er hatte alles richtig gemacht und sich als junger Wilder mit einem Händchen für Extravagantes ins Szene gesetzt. Zumindest aus seiner Sicht, denn die eigene Küche muss sich von der Küche des anderen Spitzenkoches und potentiellen Konkurrenten unterscheiden. „Be a brand“ gewissermaßen. Koche liebe ungewöhnlich.
Was marktlogisch goldrichtig war ist aus gesellschaftlicher Sicht jedoch höchst bedenklich. Otto-Normalesser hat für gewöhnlich kaum Interesse an der Hochkulinarik und auch kaum die Muße, sich stundenlang mit kleinen Häppchen und Weinbegleitung durch den Abend bringen zu lassen. Besagter Spitzenkoch, nennen wir in Bennie P., zementierte mit seinem Rezept Vorurteile und markierte zugleich den Rahmen, in dem die kleinen Unterschiede schlagend werden. Der Hoch-Kulinariker ließ es sich fast schon logischerweise außerdem nicht nehmen, den Schweinsbraten als österreichisches Grundnahrungsmittel mit einer geringschätzigen Meinung zu versehen.
Der Schweinsbraten hält sich naturgemäß in der gleichen gesellschaftlichen Sphäre wie das normale Lager- oder Pils-Bier auf. Das Bier gehört gleich wie der Schweinsbraten dem Volk. Das Murmeltier nicht. Die Idee es zu kochen ist elitär und wird von einer breiteren Masse nicht verstanden. Diese breitere Masse sitzt lieber im Gasthaus bei Schweinsbraten und Bier.
Bennie P. hat damit ein Statement getätigt. Möge doch der Pöbel im Gasthaus bei Bier und Cordon Bleu sitzen bleiben, während die Kenner und Feinspitze bei ihm in seinem Gourmet-Restaurant den kulinarischen Himmel auf Erden erleben können.
Auch das ist weitestgehend legitim. Es ist gerade eine der positiven Eigenschaften des Kapitalismus, dass er zwar alles zum Markt macht und der Marktlogik unterwirft, zugleich aber auch einen Markt für verschiedenste Interessen und Bedürfnisse überhaupt erst schafft. Der Spätkapitalismus nivelliert nicht, wie ihm meist vorgeworfen wird, die Unterschiede, sondern schafft in einer fast schon hysterischen Weise stets neue Unterschiede, die sich aus kommerzieller Sicht lohnen. Das Problem ist aber vielmehr, dass sich verschiedene Gebiete zunehmend immer weniger berühren und in die Quere kommen. Damit erinnert die Kaste der Top-Köche auch ein wenig an die Polit-Kaste oder an die Kaste der Intellektuellen.
Es ist ein weit verbreitetes Klischee, dass Politik überwiegend nicht für das „Volk“ gemacht wird und Intellektuelle vornehmlich mit Intellektuellen verkehren. Darin ist mehr als nur ein Funken Wahrheit zu finden. Sowohl die Politik als auch die Spähre der Intellektuellen setzen Wissen voraus, das einen Eintritt in die jeweiligen System ermöglicht. Dabei ist es entscheidend die Regeln zu kennen und den selben Bezugsrahmen zu haben. Wer nicht die gleiche Bildung hat und eine ähnliche Meinung die auf ähnliche Annahmen fußt vertritt schießt sich schnell ins Aus und wird in den allermeisten Fällen keinen Fuß in diesen Bereichen auf den Boden bekommen.
Der Spitzenkoch Bennie P. agiert sehr ähnlich. Mit seinem Rezept hat er nicht den ganz normalen hungrigen Gast im Blick, sondern die relevanten Publikationen und Meinungsmacher im Kulinarik-Bereich, die ihm ob seiner Wildheit und seinem Anderssein Hauben nachwerfen werden. Nicht der Gast, der nach einem Abend in seiner Kulinarik-Stube satt und glücklich das Lokal verlässt, ist sein Hauptinteressen, sondern die Fütterung des Systems Spitzen-Gastronomie. Der eintretende Gast hat sich demütig in diesem System zu bewegen und sich vor dem dekorierten Küchen-Gott zu verbeugen. Hält der Gast die Regeln ein, ist er zukünftig womöglich Aktant in diesem System. Tut er es nicht oder stellt er die Bedingungen in Frage, bleibt ihm nur mehr das Gasthaus.
Das Gasthaus wird damit zu einer Art Aufbewahrungsstätte der Unwissenden, kulinarisch einfach Gestrickten und Ausgeschlossenen. Darin liegt aber auch eine große Chance. Das Gasthaus könnte daran anschließen, worum es beim Essen eigentlich geht: Um Hunger und Durst. Von diesen Grundbedürfnissen ausgehend ließen sich nachvollziehbare Raffinessen und Feinheiten etablieren. Es ließe sich ein Ort der Inklusion schaffen, dem Bodenständigkeit genauso wenig fremd ist wie eine gehörige Portion Mut und Experimentierfreude.
Das wäre das Ziel, lieber Bennie P.. Dass du stattdessen lieber Murmeltiere verkochst sei dir unbenommen. Aber die Zukunft wird Überheblichkeit, Standesdünkel und Kastendenken höchstwahrscheinlich bestrafen.
Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".