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Kunst braucht uns. Wir brauchen Kunst. Und Veranstaltungskreativität!

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Endlich schreien die Künstler auf. Alle sind ausgehungert nach zwei Monaten Abstinenz. Künstler wie Publikum. Oder wurden nur die Angebote im Netz zu wenig angenommen? Es gab da doch so viel! Ja, warum eigentlich brauchen wir überhaupt Kunst? Und warum brauchen wir sie analog und nicht digital?

Kunst ist eine komische Sache. Es gibt sie, seit es den Menschen gibt, davon zeugen Flöten aus Knochen geschnitzt und Höhlenzeichnungen. Es ist die elaborierteste Kommunikationsform, die die Menschheit erfunden hat. Und heutzutage gibt es natürlich auch ganz neue, die digitalen Möglichkeiten ausnützende Ausdrucksformen. Aber warum brauchen wir dann immer noch das ganz altmodische analoge Theater, das Konzert, die Ausstellung? Warum genügt es uns nicht, die Bilder großer Meister in digitalen Ausstellungsräumen zu besichtigen?

Es hat wohl etwas mit Resonanz zu tun. Der Begriff steht hier nicht, wie landläufig verwendet, für den geschäftlichen Erfolg und die Verbreitung von Kunstwerken, sondern im Sinne von Hartmut Rosa* für das Grundprinzip wechselseitiger Selbst- und Weltbeziehung, Selbst- und Weltwahrnehmung. Wir wollen berührt werden. Ganz körperlich. Unsere Spiegelneuronen feuern, wenn wir einen Schauspieler vor uns spielen sehen. Die Spiegelneuronen des Schauspielers feuern aus der Interaktion mit seinen Mitspielern und mit dem Publikum. Ein Musikstück bringt uns anders in Schwingen, wenn wir die leidenschaftliche Hingabe des Musikers miterleben als nur über CD. Und die Gesamtheit eines Publikumskörpers schwingt anders und stärker, wenn sie ein Musikstück live und gemeinsam erlebt. Die Traurigkeit der Opernsänger, wenn sie nach dem gutgemeinten Corona- Ersatz-TV-Auftritt ohne Publikum abgehen, ihr verlorener Blick ins kahle Parterre und am Ende auf die vier in Abstand voneinander sitzenden Begleitmusiker, verrät die professionelle Anstrengung, die es kostet, ins Leere zu singen. In einen Saal, aus dem nichts zurückkommt. Es ist nicht der Applaus, der fehlt. Es ist das fehlende Mitschwingen der Zuhörer, das einen (nicht nur akustisch) toten Raum erzeugt.

Dem Künstler und dem Publikum ist in Pandemiezeiten kaum zu helfen (außer halt finanziell, um das pure physische Überleben zu sichern, s. Nachsatz). Es sei denn, man ließe dem Künstler wie dem Kunstliebhaber die Freiheit und Selbstverantwortung, eigenständig zu entscheiden, was ihm wichtiger ist: Gesundheit oder Kunstgenuss. Leider tangiert eine Viruserkrankung dann aber auch andere, also ist diese Freiheit hier nicht unbegrenzt einforderbar, die ansonsten im Kunstbetrieb gang und gäbe ist und sein muss. Einzig die Freiheit, zu sehen, wo man bleibt** ist immer noch gültig. Wie eine direkte Begegnung mit Kunst in solchen Zeiten stattfinden kann, das erfordert wirklich sehr viel Kreativität. Aber die hätten wir Künstler und Kunstliebhaber doch, oder? Also lassen wir Bürokratie einmal ein bisschen weg, und dafür Veranstaltungskreativität zu!

Der Künstler braucht die Resonanz von Mitspielern, die Schwingungen aus dem Publikum wie die Luft zum Atmen, um ihn zu Höchstleistungen anzutreiben. Kunst ist, wenn sie uns stark berühren soll, ein Gemeinschaftserlebnis – zwischen Künstler und Welt, zwischen Künstler und Material, zwischen Künstler und Mitspielern, zwischen Künstler und Rezipienten. Für einen Augenblick schwingen sie auf derselben oder manchmal auch auf gegenläufiger Wellenlänge. Ein Akkord ist mehr als die Summe von Tönen, ein Orchesterstück mehr als ein Notenblatt. Erst aus dem Zusammenspiel entsteht etwas Größeres, als das, wozu der jeweils einzelne jemals fähig gewesen wäre: eben das Kunstwerk.

  • * Hartmut Rosa, „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“, Suhrkamp, Berlin, 2016.
  • ** Titel der Dokumentation zum ersten österreichischen Schriftstellerkongress, Gerhard Ruiss und Hannes Vyoral, 1982

Nachsatz:

Das Scheitern und der Rücktritt von Ulrike Lunacek (die auf anderen Gebieten ihre Rolle immer extrem kompetent ausfüllte) beweist einmal mehr, dass Kunst und Künstler vor allem Empathie und Enthusiasmus benötigen, um zu existieren zu können. Das konnte Lunacek leider nie glaubhaft vermitteln. Geldgaben zu verhandeln ist nicht alles. Geld braucht´s zum Überleben, aber Kunst braucht mehr – Kunst braucht Hingabe.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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