Wenn ich mich an meine Studentenzeit, lang, lang ist´s her, zurückerinnere, dann vor allem an die vielen schönen Feste, die wir spontan feierten. Da tun mir die Erstsemestrigen heuer wirklich leid. Sperrstunde kannten wir damals nicht. Vorlesungen vor zehn Uhr vormittags auch nicht. Nur die armen Mediziner mussten schon um acht Uhr zur Lehrveranstaltung antreten. In den Geisteswissenschaften, das wussten die Professoren, waren Hauptvorlesungen am frühen Vormittag ein No-Go. Da war der Geist noch nicht wach genug. Das längste Fest in meiner Studentenbude dauerte drei Tage und drei Nächte. Zwischendurch schlief mal der eine oder andere auf der Couch oder in einer Ecke ein, dann holte jemand Frühstück, eine/r kochte später Spaghetti, man trank Unmengen Tee und Kaffee und gegen Abend holte man neue Getränke. Unserer Einschätzung nach führten wir dabei hitzige, tiefgründige philosophische und politische Gespräche, entwarfen völlig neue, bessere Welten, sangen Dylan-Lieder, spielten selbst erfundene Brettspiele und wunderten uns nicht einmal, dass die Wohnungsnachbarn so tolerant waren, uns zu ertragen. Aber die Mauern im Altbau waren gottlob dick.
Überhaupt bestand das Studium zu einem nicht unwesentlichen Teil aus „Socializing“, dazwischen lernte man auf die Prüfungen oder schrieb seine Arbeiten. Man lernte eigentlich das Allermeiste von dem, was man auch später brauchen konnte, beim Diskutieren mit Studenten verschiedenster Fachrichtungen am Innufer, vor der Bibliothek oder in der Mensa. Geld für Lokalbesuche hatte man sowieso nicht. Und am liebsten besuchte man fachfremde Vorlesungen. Auf diese Weise erwarb ich mir zum Beispiel nebenbei rudimentäre Kenntnisse in Gälisch, Sanskrit und Chinesisch, aber auch in Gerichtsmedizin, Philosophie und Kunstgeschichte. Man brauchte dafür keine Inskription, keine Credits, keine Anmeldung, kein Garnichts außer grad Zeit und Interesse. Und abends gings weiter mit dem breitgefächerten Diskurs bis spät in die Nacht.
Heute dagegen müssen die armen Studenten in vorgeschriebener Zeit streng vorgeschriebene Veranstaltungen und Prüfungen ihres, und nur ihres, Fachs absolvieren. Die freie „universitas“ scheint gänzlich verloren gegangen zu sein, außer wenn man endlich an langen Abenden andere treffen und sich mit ihnen unterhalten kann. Konnte.
Denn nun wird, Pandemie-bedingt, die Sperrstunde auf 22h vorgezogen, eine Katastrophe! Wann werden die Studenten jetzt noch Zeit finden einander zu treffen? Irgendwann schnell zwischen zwei Vorlesungen auf einen Kaffee? Aber dafür sind die Vorlesungen der Fachrichtungen nicht genügend aufeinander abgestimmt. Oder sofort nach dem Nachmittags-Seminar ins Bierlokal? Wie ehemals in Schottland, wo sich alle schon ab 18 Uhr im Pub versammelten, damit sie um zehn mit Diskutieren und Saufen fertig waren?
Wann und wo wird nun noch ein unreglementierter universitärer Diskurs stattfinden? Deshalb die Bitte an die Uni, dem drohenden intellektuellen und sozialen Verlust im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein wenig entgegenzuwirken: Vielleicht könnte man wenigstens die Vorlesungszeiten während der Pandemie an den Corona-bedingten neuen studentischen Biorhythmus anpassen? Zum Beispiel fixe vorlesungsfreie Zeit an allen Fakultäten zwischen zwölf und vier? So als eine Art intellektuelle Siesta? Oder Hauptvorlesungen ab 22Uhr? Cum tempore, zum Nachglühen nach dem gemeinsamen Lokalbesuch?