Denn sämtliche sogenannte Frauenzeitschriften lebten von ihrem skandalösen Betragen, die Opernkritiker von ihrem Gesang. Beides hatte deshalb nichts miteinander zu tun, da es verschiedene Geschäftsinteressen betraf.
Die Primadonna lieferte dementsprechend zwischen ihren Auftritten an den Opernhäusern der Welt unsägliche Liebschaften, hysterische Probenauftritte und unmotivierte Absagen, dazu noch Hochsteckfrisur und insgesamt totale geistige Unbedarftheit abseits der Bühnen. Das traf sich auch gut mit dem allgemeinen damaligen Frauenbild. Die prima donna assoluta war eben die allertypischeste Ausprägung der typischen Frau. Bloß kochen musste sie nicht können.
Und heute? Anna Nebtrebko kocht, entspricht aber ansonsten aufs Haar dem uralten Image des weiblichen Opernstars. Doch plötzlich verlangt die Welt anderes. Jetzt soll eine Primadonna auf einmal neben Goldstimme und Glitzergewand auch noch ein selbständig und kritisch denkendes Wesen sein, ohne dass ein Regisseur ihre Rollengestaltung führt? Sie soll gar selber wissen, wem sie zu wessen Ehren singt und von wem sie Orden entgegennimmt, ohne dass die Agentur ihr das vorschreibt?
Wie soll sich denn bitteschön jemand, der sich tagtäglich in unsäglich irrealen Situationen voriger Jahrhunderte bewegt, in unserer heutigen Wirklichkeit zurechtfinden? Tag für Tag verliebt sie sich auf der Bühne in den falschen Mann. Das färbt auf die Alltagswahrnehmung ab.
Lassen wir also die Primadonna weiter von Liebe und Leid früherer Jahrhunderte singen und auf der Opernbühne an den Männern, denen sie trotz aller Warnungen von Freunden anhängt, tragisch zugrunde zu gehen. Und ansonsten lassen wir sie bitte schweigen. Und wem die Wirklichkeit nicht genügend große Emotionen und Tragödien bietet, der möge weiterhin die schöne Stimme in den alten Opern verehren. Den meisten von uns reicht für die tragischen Gefühle derzeit die prosaische Realität.