Für interessierte politische Beobachter gleicht der Zustand der österreichischen Sozialdemokratie einem Trauerspiel erster Güte. Es zeugt schon von beträchtlicher Hilf- und Einfallslosigkeit auf allen Ebenen, wenn es eine Partei mit sozialem Anstrich nicht schafft, die Elfmeter der vergangenen Wochen und Monate zu verwandeln. Stellt sich lediglich die Frage, wo der roten Mann- und Frauschaft die richtigen Spieler bzw. Trainer fehlen und wo diese im Idealfall zu finden sind.
Viel Pamela, wenig Joy…
Die Ärztin und ausgewiesene Gesundheitsexpertin Joy Pamela Rendi-Wagner musste ein schweres Erbe antreten, als Christian Kern schneller als erwartet seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hatte. Kern hat gegenüber der strahlenden türkis-schwarzen Lichtgestalt Kurz keine Möglichkeit mehr gesehen, zu punkten. Eine kompetente Frau, die sich auch schon als Gesundheitsministerin einen Namen machen konnte, in die erste Reihe zu schicken, war die logische Entscheidung. Doch Rendi-Wagner wirkte von den ersten Interviews und Auftritten an hölzern, seltsam „vercoacht“ und auf Inhalte fokussiert, die alles andere als ihre Kerngebiete abdeckten. Besonders in der Coronapandemie wurde das Problem der Sozialdemokratie eines mit ihrer Parteispitze. Wer als Epidemiologin in einer Pandemie nicht inhaltlich aufblüht, hat eigentlich schon verloren.
Soziale Krise ohne soziale Lösungen?
Wo bleiben die Lösungen der Sozialdemokratie für die derzeit schwelenden gesellschaftlichen Konflikte? Wenn Arbeitsminister Kocher die Teilzeitkräfte im Land attackiert bleibt die rote Seite mehr oder weniger stumm. Wenn Menschen nicht mehr wissen, wie sie sich das tägliche Leben leisten sollen, kommen von der roten Seite kaum bis wenig gehaltreiche Initiativen. Es scheint fast so, als wäre die Zeit vorbei, in der eine starke Sozialdemokratie in Österreich die Themen gesetzt und nicht einfach nur auf die Themen aufgesprungen ist. Es kann doch nicht sein, dass eine sozialdemokratische Partei in einer der schwersten Krisen der 2. Republik keinen Hebel findet, um aktiv und vorbildlich zur Krisenbewältigung beitragen zu können.
Wer kann die SPÖ aus der Krise führen?
Es sind auffällig viele Fragen offen, wenn es darum geht, ob und durch wen Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin abgelöst werden soll. Mit Doskozil und Ludwig stehen zwei gewichtige Landeschefs parat, die sich den Job wohl selbst zutrauen würden. Doskozil hängt schon seit Jahren der Speichel in den Mundwinkeln, wenn es um den Bundesvorsitz seiner Partei geht. Aber mit Christian Kern tauchte zuletzt immer wieder der Name des Vorgängers von Rendi-Wagner auf. Kern ist in den vergangenen Wochen auffällig oft in TV-Studios präsent. Aber kann Kern glaubhaft verkaufen, warum er vor gar nicht allzu langer Zeit der Politik überdrüssig war und jetzt seiner Nachfolgerin nachfolgen will? So oder so, wer auch immer die Sozialdemokratie in Österreich übernimmt, hat einen ordentlichen Rucksack zu schultern und muss der rostig-roten Dampflock schnell einen modernen Elektroantrieb verpassen!