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Tag der Arbeit

Wieder einmal. Und das war´s dann schon.

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Fähnchen und Reden. Hauptsächlich über Zahlen: Wochenarbeitsstunden, Arbeitslosenprozente, Lohnsteigerungsquoten, Wirtschaftswachstumsprognosen … Kaum Visionen. Dabei täten wir gerade die zurzeit allüberall brauchen.

Keiner redete am 1. Mai über das Wesentliche, das sich nicht in Ziffern fassen lässt, nämlich darüber, was jeder einzelne Mensch auf seine Art für unsere Gemeinschaft leistet und wie sich die Gemeinschaft dafür zu bedanken gedenkt. Arbeit ist ja nichts Besonderes, sondern unser aller natürlicher menschlicher Seinszustand, der uns mal glücklich, mal unglücklich macht, der uns körperlich, geistig, emotional fordert und der — vor allem anderen — unser aller Überleben sichern muss und nicht unseren Untergang herbeiführen sollte. Jeder, der sich also unrechtmäßig für etwas entlohnen lässt, das nicht diesen Kriterien des Gemeinwohls entspricht, sollte demgemäß seine Tätigkeit nicht Arbeit nennen dürfen und sofort als Sozialschmarotzer zum AMS geschickt werden.

Und die Visionen? Die schlimmsten körperlichen Anstrengungen wurden uns inzwischen von Maschinen abgenommen. Wir haben damit Massen von Dingen produziert, bis es nicht mehr weiterging, und die gewonnene Freizeit mit Sport und anderen Tätigkeiten gefüllt, die alles, bloß nicht „Arbeit“ heißen dürfen.

Lästige verbliebene bürokratische und etliche geistigen Anstrengungen werden uns demnächst von der KI abgenommen werden.  Was bleibt also als Rest von Arbeit, die wir noch ohne solche Unterstützung zu bewältigen haben? Bald nur noch jene Tätigkeiten, welche Gefühle voraussetzen und/oder geistige Weitsicht. Solche Anstrengung lässt sich aber weder in Minutenschlüsseln noch in Produktionszahlen fassen. Trotzdem tun alle weiterhin so, als würde das Überleben unseres Gemeinwesens ausschließlich von Indizes, Wirtschaftswachstumsraten* und Arbeitsmarktziffern abhängen.

Eine Wette auf die Zukunft: Falls uns nicht vorher der Himmel auf den Kopf fällt, wird in Zukunft der Staat den Großteil seiner Steuern nicht mehr auf menschliche Produktionsstunden, sondern tatsächlich auf Maschinen und Digitale Services erheben müssen, will man noch ein Budget zustande bringen, denn die Maschinen und Digitalservices werden die hauptsächlichen Produktionskräfte darstellen. Diese brauchen aber nicht zu essen und Kinder aufzuziehen, denen kann man ruhig etwas mehr vom Lohn abzwacken. Die Arbeit von Krankenpflegern und Gärtnerinnen, Kinderbetreuern und Handwerkerinnen hingegen — alle körperlichen Verrichtungen, die nicht zur Gänze maschinell oder digital ersetzt werden können — wird an Wert zulegen und notgedrungen höher entlohnt und weniger besteuert sein. Die heute gering geschätzte, hoch besteuerte und schlecht entlohnte Care-Arbeit, bei der man die dafür nötige Empathie weder in Zahlen fassen noch billig maschinell oder digital erzeugen kann, wird bald das wertvollste Berufsbild darstellen. Die wird nichts ersetzen können.

Die KI kennt nämlich keine Gefühle, kann sie nur vortäuschen. Sie kann nicht einmal wirklich auf den einzelnen Menschen und seine Bedürfnisse eingehen, so wenig wie ein Tamagotchi oder ein Roboterhund. Sie kann nur auf unsere in Datenspeichern gesammelten Gewohnheiten rekurrieren. Aber jeder Mensch ist mehr als das. Auch eine Hebemaschine, ein Exoskelett, ein Satellitenroboter sind tolle Maschinen, aber sie können kein neu auftretendes existenzielles Problem für uns lösen. Kreativität, Erfindungsgeist und Forscherdrang werden niemals maschinell ersetzt werden können. Die KI besitzt nämlich keinerlei Vorstellungskraft vom noch gänzlich Unbekannten, sie besitzt keinen „Möglichkeitssinn“** und keine gesunde Skepsis gegenüber den eigenen Fähigkeiten — so wenig wie die Maschinen und leider auch manche Politiker.

Arbeit wird dementsprechend in Zukunft ganz anders verteilt und bewertet sein. Also sparen wir uns das unnütze Aufzählen von Ziffern und Zahlenprognosen am nächsten Ersten Mai. Stellen wir uns lieber – als ersten Schritt – schon einmal eine freundliche und fröhliche und sinnliche Arbeits- und Lebenswelt der Zukunft abseits dieser Zahlen vor.

*) Der unselige, uns ständig um die Ohren gehauene Begriff des Wirtschaftswachstums nervt und ist überhaupt eine rein mathematische Schimäre. Ignorieren Sie ihn einfach, wenn er Ihnen begegnet. Er hat mit Ihrem persönlichen Leben und der Arbeit, die Sie leisten, nichts zu tun.

**) Es ist nicht verwunderlich, dass gerade der studierte Maschinenbautechniker Robert Musil diesen Gegenbegriff zum „Wirklichkeitssinn“ erfand.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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