von Lucas Brand
Die Euphorie in der Bevölkerung über die gewonnene Qualifikation für die Fußball-Europameisterschaft war groß. „Wir“ hatten ja auch nach den Siegen gegen Russland und dem 1 zu 4 Triumphzug gegen Schweden allen Grund dazu. Forciert wurde jene überschwängliche Begeisterung mittels der öffentlichen (rechtlichen) Medien. Wohl zu Recht, nach dem „Durchmarsch“ der Österreichischen Fußball-Nationalmannschaft, die, gespickt mit jungen, aufstrebenden Talenten und erfahrenen Pokalsiegern in den besten Liegen Europas, sich keinen internationalen Vergleich scheuen musste.
Die Tatsache, dass sich unsere Mannschaft nach 1998 erstmalig wieder für ein Groß-Turnier in derartig müheloser Weise, so schien es zumindest, qualifizieren konnte, ließ einige Beobachter des internationalen Fußball-Bankettes aufhorchen und man prophezeite ihnen sogar geringe Außenseiterchancen (Josè Mourinho). Die heimische Bevölkerung erwartete indes sogar einen Aufstieg in die K.o.-Runde, wobei der Ein oder Andere bereits vom Triumph des Europameistertitels träumte. Jene fantastischen Hoffnungen lassen sich nach einer solchen Qualifikation und den dadurch entstandenen Teamgeist auch nachvollziehen. Man hatte den Eindruck auf dem Platz steht eine Einheit, die über jeden Gegner Europas erhaben ist und sich, das war bis dato neu, mittels spielerischer Mittel in das öffentliche Bewusstsein kickte.
Der Vergleich, mit der zuletzt erfolgreichen Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1998, ließ es zu, der Mannschaft ebenfalls neu errungene Qualitäten zu attestieren. Auch damals traf man in der Gruppenphase der Qualifikation auf Schweden und das Ziel lautete Frankreich, als Austragungsort der WM 1998. Es war eine andere Zeit, ein anderer Fußball und Österreich schaffte es sich als Gruppen-Erster für die Endrunde zu qualifizieren. Auch hier entfachte ein Sieg über die favorisierten Schweden zwei Spieltage vor Beendigung der Quali den Traum vom großen Triumph.
Die Parallelen der zwei Endrundenteilnahmen sind nicht von der Hand zu weisen. So scherzte man noch kurz vor Beginn der Euro 2016, dass man es zum Glück nicht (wie 1998) mit den Chilenen und Kamerunern (jeweils unentschieden) zu tun bekommen könnte.
Die zuletzt absolvierten Testspiele gegen Malta und den Niederlanden wiesen spielerische Mängel auf, jedoch wurden jene Endergebnisse bagatellisiert, um den neu errungenen „Geist der Mannschaft“ zu bewahren. Nicht mehr unsere deutschen Nachbarn, sondern wir waren „die Mannschaft“ der Stunde! Ein Sieg über Ungarn, den historischen Bruder Österreichs und erster Gruppengegner, sollte dies verdeutlichen. Eine stürmische Anfangsphase von „Kollers Jungs“ konnte jedoch nicht über die fehlende Zuordnung und die hektisch agierenden Spieler hinwegtäuschen. Man verlor die Partie schlussendlich, verdient oder nicht sei dahingestellt, mit 0 zu 2. Die Enttäuschung nach dem Spiel war groß, dachte man doch schon, es den Griechen und deren Titelgewinn 2004 gleich tun zu können.
Nun komme ich zu meinem eigentlichen Anliegen. Es scheint, als ob Österreich nach dieser Niederlage in alte Tugenden verfällt, zumindest aus gesellschaftlicher Perspektive. Der „rot-weis-rote“ Fan mutiert abermals zum selbstzweifelnden Opfer. Die so überzeugend gespielte Qualifikation wird herab getan mit Argumenten wie, „die Schweden und Russen waren augenscheinlich nicht in Höchstform“ und Stimmen wurden laut, die Ausreden anstelle von Zuversicht fanden. Jene österreichische „Eigenart“, die Dinge nicht Klar zu benennen, nach Ausreden zu suchen und sich wie ein „Fähnchen im Wind“ der jeweiligen Situation auszurichten, ist wohl historisch bedingt. Es fehlt uns an Identität.
Der historische Ballast des „1. Opferstaates“ des NS-Regimes wurde nie restlos aufgearbeitet. Neidvoll blicken wir auf unsere deutschen Nachbarn und müssen erkennen, dass der „große Bruder“ trotz verlorener und dafür zur Rechenschaft gezogener Weltkriege eine wirtschaftliche, politische, wie sportliche europäische Macht darstellt. Der historische Hintergrund des deutschen „Wirtschaftswunders“ nach 1945 bildet wohl einen Großteil der Identität Deutschlands. Genau jener Gedanke des „wir schaffen das“, ist es, was Österreich fehlt. Aufzustehen, wenn man am Boden liegt muss gelernt sein. „Raunzen“, „Jammern“ und die Art des „Laisser-faire“ ist hingegen tief verwurzelt in der österreichischen Tradition. All dies manifestiert sich in der österreichischen Fußballkultur.
So ist es nachvollziehbar, dass sich viele Österreicher aufgrund der Misserfolge unseres Teams, zu anderen Mannschaften bekennen. Im Bewusstsein der drohenden Niederlage möchte man nicht auf der Seite der Verlierer stehen. Entfernte, familiäre Verwandtschaften, längere Auslandsaufenthalte oder Urlaube werden herangezogen, um die neue „Fan-Zugehörigkeit“zu rechtfertigen. Es fehlt uns vielleicht an Rückgrad, um ein österreichisches Nationalbewusstsein bilden zu können, die innere Zuversicht, die es benötigt, um verloren geglaubte Spiele noch für sich zu entscheiden. Dabei gebe ich zu bedenken, dass nationales Bewusstsein nicht mit Nationalismus gleichzusetzen ist. Die schrecklichen Ausschreitungen russischer Hooligans vergangene Woche, zeugen von dieser bipolaren Problematik. Der Fußball war und ist immer ein Politikum.
Hierin liegt auch eine immense Chance der nationalen, politischen Stabilität. Gemeinsames, fraktionsübergreifendes Feiern eines Triumphes lässt Gegensätze schwinden und verbindet. Nicht der gemeinsame Feind ist es, der uns näher zusammenrücken lässt, sondern der Glaube an uns selbst, in der Verkörperung des österreichischen Nationalteams. Natürlich kann man sich dem „Sport des Proletariats“ verweigern, doch sollte jedem bewusst sein, dass auch dies eine Form des zwischenmenschlichen Dialoges ist, eine Möglichkeit der politischen, fraktionsübergreifenden Annäherung und eine Chance „Gräben zu überwinden“. Die Bevölkerung Griechenlands war sich im Jahr der Europameisterschaft 2004 jener Situation bewusst und wuchs trotz oder gerade aufgrund der wirtschaftlichen Abgründe des eigenen Landes zusammen, um dem Alltag zu entfliehen und gemeinsam neuen Mut zu schöpfen. Auch unser Land würde, wahrscheinlich dringlicher denn je, allgemeine identitätsstiftende Sinnbilder benötigen, denn Feindbilder gibt es bereits zur Genüge.
Abschließend sei gesagt, dass ein vorzeitiges Ausscheiden der Österreichischen Fußball-Nationalmannschaft, auch keine Tragödie wäre, denn nach dem Sommer kommt bekanntlich der „Hirscher“. Die Symbolfigur unserer Nation. „König Marcel“, auf den „Brettern, die für uns die Welt bedeuten“, wird’s schon wieder richten. Falls nicht, ist er einfach Niederländer!
Foto (c) Nicolas Raymond, Austria Grunge Flag, flickr.com