Alles begann im Jahr 2009. Der Protest über die Situation der Universitäten hatte auch Innsbruck voll erfasst. Monatelang harrten Studierende in der Sowi-Aula aus; im Slang der Protestierenden wurde sie in SoWi-Max umbenannt, nach dem Wiener Vorbild des Auditorium Maximum, kurz AudiMax – der erste Hörsaal, der in Wien besetzt wurde. Kurz vor Weihnachten wurde eine Einigung mit dem Rektorat bekannt gegeben; man gab das SoWi-Max auf und durfte dafür, vom Rektorat dauerhaft geduldet, in einen neuen Raum auf der GeiWi ziehen. Das GeiWi-Max war geboren.
Im Grunde genommen brennt die Uni noch immer. Die Situation hat sich seit 2009 nicht viel verändert. Das Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden ist in vielen Studiengängen immer noch miserabel, Räume gibt es viel zu wenige und die Zugangsbeschränkungen für Studiengänge wurden sogar noch mehr. Aber auch im vergangenen Jahr, zum fünften Jahrestag der Bewegung, gab es keinen neuen Aufschrei. Was blieb also übrig? Es blieb das GeiWi-Max, ein Raum, durch den man damals dachte, “den Protest zu institutionalisieren” – so hat ein Aktivist vor fünf Jahren seine Hoffnung formuliert. Und seit diesen Freitag ist auch dieser Raum Geschichte.
Wie konnte das passieren? Auch der autonomste Raum untersteht in einer Universität Regeln, und diese wurden, so die offizielle Begründung des Vizerektorats für Infrastruktur, nicht eingehalten. So wurden „weiterhin systematisch größere Mengen Lebensmittel im Raum gelagert”, wie Vizerektorin Anke Bockreis in einem Schreiben formuliert. Sie stellt daher fest, „dass der Raum in der bestehenden Form nicht dauerhaft gemäß der ursprünglichen Widmung und der Haus-, und Benutzungsordnung genutzt werden wird”. In universitären Räumlichkeiten dürfen nämlich aus Hygienegründen keine verderblichen Lebensmittel gelagert werden. Es seien, wie mir die Assistentin der Vizerektorin in einem Gespräch mitteilt, diesem Räumungsbeschluss Treffen mit der ÖH und den Vertretern der Unibrennt Bewegung vorausgegangen, in denen auf diese Bestimmung hingewiesen wurde. Zudem habe man die Verantwortlichen bei Begehungen vor Ort immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Trotzdem: Im GeiWi-Max wurden kontinuierlich noch genießbare Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten verteilt. In einschlägigen Facebook-Gruppen galt das GeiWi-Max als zentrale Anlaufstelle für Containerware. Die AktivistInnen sahen in der Rettung noch genießbarer Lebensmittel eine politische Handlung und viele wollten sich daher der Vereinbarung nicht beugen.
Doch unabhängig davon, dass das Verteilen weggeworfener Lebensmittel eine tolle Sache ist: Es ist nicht der Grund, warum im Jahre 2009 Studierende auf die Straße gingen. Lebensmittel zu erhalten heißt nicht, Studienbedingungen zu verbessern. Als ich begonnen habe, für diesen Artikel zu recherchieren, wollte ich wissen, was genau mit der Unibrennt Bewegung geschehen ist, was sie macht und warum der Raum so genützt wird, wie er es wurde. Das war vor rund drei Wochen, bevor bekannt war, dass der Raum geräumt werden würde. Nun stellt sich die Frage anders, in Form einer Bilanz: Wie denken die AktivistInnen nun über die Unibrennt Bewegung? Sind sie enttäuscht, wütend, oder vielleicht sogar froh, weil die Nutzung wenig mit den einstigen Zielen gemein hatte? Wie denken die ÖH und die breite Masse der Studierenden, die den Raum – so war zumindest mein Eindruck in Gesprächen – als nicht besonders einladend empfunden hatte? Und was bedeutet das für das politische Bewusstsein der Studierendenschaft, wenn das Symbol des Protestes nun verschwunden ist?
Bei einem Treffen vergangenen Donnerstag wurde eine offizielle Protestnote formuliert, in der es heißt, dass „die #unibrennt Bewegung die von Ihnen angedrohte Räumung des #unibrennt-Raumes ohne vorherige Gespräche so nicht hinnehmen wird.“ Es ginge dabei „nicht nur um den Raum, sondern es ist vielmehr ein Symbol für die Erhaltung der kritischen Studierendenschaft. Wir von der #unibrennt-Bewegung möchten garantieren, dass auch in Zukunft kritische und reflektierte Menschen die Universität repräsentieren.“
Der Raum ist tatsächlich ein Symbol und sein Symbolcharakter gestaltet die ganze Diskussion so schwierig. Alle Gespräche mit Aktivistinnen und Aktivisten, die ich in den letzten Tagen hatte, waren von einer gewissen Wehmut begleitet. Auch wenn nicht alle besonders unglücklich darüber waren, dass der Raum nun weg ist, so schmerzt der Umstand, dass die letzte sichtbare Spur der Bewegung entfernt wurde. In der Uni ist nun alles wieder so, als hätte es den Protest vor fünf Jahren nie gegeben. „Das Rektorat hat die letzte Bastion des Protestes weggeschafft“, formulierte es einer meiner Gesprächspartner.[nextpage title=“Die Meinungen der ÖH-Fraktionen“]
Raum frei von kapitalistischen Zwängen, oder schmutzige Lernzone?
Mehr als nur Symbol, stellte der Raum für viele die Miniatur einer anderen Gesellschaft dar, insofern er als Freiraum gedacht war. Hopi Egger, derzeit Vorsitzende der Fraktion sozialistischer Studierender in der ÖH, meint: „Es enttäuscht mich sehr, dass der letzte Freiraum für Studierende aufgelöst wird. Er war Lern- und Entfaltungsraum für Viele.“ Entfaltung meint hier eine Entfaltung jenseits der Zwänge einer kapitalistischen Gesellschaft. „Einen solchen Raum kennen die meisten Studierenden heute nicht mehr und ist für sich auch gar nicht mehr vorstellbar. Was die Uni heißt, sehen wir am UBI-Chat: Flatscreens und Konsumzwang. Das ist ganz normal, Freiräume sind dagegen seltsam und bedrohlich“ meint Andrea Umhauer, sie war Spitzenkandidatin der Grünen Fraktion bei den letzten ÖH Wahlen.
Diese Worte klingen nobel – aber sie passen so gar nicht in das Bild, das ich selbst von diesem Raum hatte. Ja, auch mich begeistern diese Ideale und auch ich finde die Flatscreens im Ubi-Chat unnötig und den Konsumzwang schlimm. Und doch hätte ich mich in diesem Raum nicht entfalten können. Ich empfand ihn als dreckig, stickig und wenig einladend. Als ich ihn am Donnerstag, einen Tag vor seinem offiziellen Ende, nochmals betrete, bemerke ich ein Buch; GeiWi-Max Protokolle nennt es sich. In ihm finden sich einige sehr, sehr unschöne Szenen aus dem Alltag im GeiWi-Max beschrieben, die mit solidarischem Verhalten so gar nichts zu tun haben und die ich hier nicht wiedergeben will. In unserer Bilanz sind wir leider noch nicht weiter. Was ist es, was hier nicht stimmt? Die Annahmen der Theorie? Oder die gelebte Praxis?
Ich will von Lukas Polzinger wissen, warum er nicht mehr in der Bewegung engagiert ist. Lukas war 2009 ebenfalls dabei, aber nicht besonders lange, nun unterstützt er Studierende mit seinem Engagement in der Fachschaft Erziehungswissenschaft bei alltäglichen Dingen: Probleme mit einer Anrechnung, Beratung für eine Modulwahl. Politische Arbeit kommt da – auf den ersten Blick –wenig vor. Er meint, obwohl er nach wie vor ein politisch sehr interessierter Mensch ist, haben sich seine Schwerpunkte gewandelt. In den Diskussionen der Bewegung habe er seine Motivation aber allmählich verloren. „Es gab in der Bewegung zu viele Grabenkämpfe zwischen verschiedenen linken Lagern. Als die Bewegung kleiner wurde haben verschiedene Gruppen versucht, sie für ihre Interessen zu vereinnahmen. Man kann als einzelner aber nicht auf zu vielen Hochzeiten tanzen und sich für alles engagieren; denn dann weiß niemand, was am Ende wichtig ist und wofür die Unibrennt-Bewegung letztlich steht“
Wofür steht die Unibrennt Bewegung nun am Ende? Zum Schluss war ihre Hauptaktivität das Foodsharing. Dann gab es noch die Kritische Universität – von der Unibrennt-Bewegung finanzierte Lehrveranstaltungen mit explizit kritischen Inhalten. Beides spricht aber in erster Linie Leute an, die schon politisiert sind, beides wird außerhalb einschlägiger Internet-, und Facebook-Seiten kaum beworben. Umgekehrt erzählt mir Korbinian Kasinger, der Vorsitzende der ÖH, von Beschwerden über das GeiWi-Max, die ihn wöchentlich erreichen. Studierende halten den Raum schon jetzt für eine Lernzone der ÖH – etwas, das Korbinian gerne in Zukunft hätte – und fragen sich, warum die ÖH den Raum so verkommen lässt. Fragt man Studierende vor der GeiWi, ob die Geschichte des Raumes kennen und den politischen Anspruch, der mit ihm verbunden ist, so weiß das kaum jemand.[nextpage title=“Wer hat versagt?“]
Haben Studierende kein Interesse mehr sich zu engagieren?
Nun könnte man meinen, die Bewegung hätte doppelt versagt: Sie hätte versagt, einen Raum zu verwalten und auch, seine Botschaften zu vermitteln. Doch es gibt noch eine andere Interpretation, die von allen kritischen Stimmen genauso geteilt wird wie von Korbinian, ihrem konservativen Feindbild: Das Disengagement ist in der gegenwärtigen Studierendengeneration tief verankert. Die Universität – eine Institution, in der Studierende traditionell eine Holschuld betreffend Information haben, wird mehr als früher als eine Durchlaufperiode wahrgenommen, ein Zwischenstadium, das es so schnell wie möglich hinter sich zu lassen gilt. Lukas, der noch das Diplomstudium miterlebt hat, macht die Bachelorstruktur dafür verantwortlich. Korbinian meint, das liegt auch an der Uni, die freiwillig den Anforderungen der Bildungsökonomie entsprechen will. Sie stärke eine Augen-Zu-und-Durch Mentalität. Er bedauert auch, dass die Unibrennt Bewegung und die ÖH nicht stärker zusammengearbeitet haben, man verfolge hier ähnliche Ziele: Beide wollen Studierende zu mehr Engagement bewegen und an ihre Verantwortung innerhalb der Universität erinnern. Gescheitert ist man nicht, sondern vielmehr machtlos.
Also sind die Studierenden selbst schuld? Auch das trifft es nicht ganz. Eine andere Meinung sagt, dass man auf diese neue, konsumorientierte Mentalität von Studierenden hätte reagieren können. Moritz Hackl, derzeit Studienvertreter an der Geschichte und 2009 im Kommunistischen Studentenverband und der Unibrennt engagiert, vertritt diese Meinung: „Man kann das Ende des GeiWi-Max auch als Chance betrachten. Dass durch diesen Raum jemals jemand politisiert worden wäre, wäre mir nie aufgefallen, und ein solcher Raum geht an den Bedürfnissen der Studierenden sowieso vorbei. Umgekehrt macht Selbstverwaltung viel Arbeit. In der Praxis war die Selbstverwaltung eine Nicht-Verwaltung, und daran ist es auch gescheitert.“ Moritz glaubt, dass das Ende des Raumes vielen Aktivisten und Aktivistinnen den letzten Anker nehmen wird, noch weiter engagiert zu bleiben. Aber er sieht auch, dass die Aktiven von 2009 ohnehin fast alle nicht mehr da waren und zu wenig neue Leute eingebunden wurden. Am letzten Plenum der Unibrennt waren 13 Leute, und das liegt schon mehr als vier Monate zurück.
Was bleibt nun vom GeiWi-Max? Zum einen ein politischer Streit, der sich gerade anbahnt: Einerseits um die Verantwortlichkeit, warum der Raum geräumt wurde – hier spricht Hopi vom VSStÖ davon, dass „ein großer Druck von der ÖVP nahen AG ausgegangen ist“ – während das die Gegenseite anders sieht. Zum anderen eine Diskussion darüber, wie es mit dem Raum weitergeht: Lernzone? Beratungscenter? Das scheint noch offen.
Die Geschichte des GeiWi-Max kann uns aber auch zum Nachdenken anregen, wie man im Jahr 2015 Studierende dazu bringen kann, sich zu engagieren. Ich wage zum Schluss doch eine eigene Interpretation: Ich glaube, dass uns das GeiWi-Max zeigt, dass Bewusstseinsbildung durch gelebte Utopie – durch eine kleine Neben-Gesellschaft mit anderen Regeln als draußen – nicht funktioniert. Dafür sind die meisten Studierenden nicht bereit. Marx hatte dafür die Begriffe „Entfremdung“ und „falsches Bewusstsein“ – sie sind vielleicht aktueller denn je. Ich denke, dass Engagement und Bewusstseinsbildung tatsächlich nur in bestehenden Strukturen, aus ihnen heraus, geschehen kann.
Moritz und Lukas engagieren sich bereits jetzt als Studienvertreter in bestehenden Strukturen, jenseits der Unibrennt-Bewegung, und zwar durchaus in kritischem Sinne. Moritz meint, dass die Unibrennt lange die Möglichkeiten unterschätzt hat, die sich in an der Uni jetzt schon bieten. „Zum Beispiel Wissenschaft und Verantwortlichkeit: Die machen sehr kritische Veranstaltungen, die dürfte es nach der Analyse der Unibrennt gar nicht geben“. Lukas hält mit einer Kollegin ein studentisches, selbstverwaltetes Seminar zu Adorno ab – jenseits der kritischen Uni. Mit der Symbolik des GeiWi-Max‘ stirbt die kritische Tradition demnach nicht. „Man kann gespannt sein, wie viele Leute das überhaupt mitkriegen“, meint Lukas.
Einige Anmerkungen zum Bericht:
Das GeiWi-Max wurde von vielen für Gruppenarbeiten genutzt, da sich die Studierenden hier, im Gegenteil zu anderen Lernräumen, unterhalten und austauschen konnten und somit gut zusammenarbeiten konnten. Er wurde auch gern als Lern- und Arbeitsort genutzt. Auch wurde er gerne als Erholungsraum genutzt, zum sich-zurückziehen und kurzem Ausruhen, um sich dann wieder dem Unialltag stellen zu können.
Was von der #unibrennt-Bewegung noch erhalten geblieben ist, ist die kritische Uni, wo verschiedene Lehrveranstaltungen zu verschiedensten Themen abgehalten werden und wo sich Interessierte auch aktiv beteiligen können. Diese LV’s können auch im LV-Verzeichnis der LFU gefunden werden und sind für alle Studierenden zugänglich. http://www.kritischeuni.at
Die ÖH, bzw. die AG, hat schon von Beginn an, gegen diesen Raum gearbeitet und sich immer wieder im Büro vom Vizerektorat für Infrastruktur beschwert. Auch scheint wohl rein zufällig in der Märzausgabe der Unipress ein kleiner Beitrag zum GeiWi-Max zu sein…?
Viele der Studierenden, welche bei der #unibrennt-Bewegung 2009 aktiv waren, sind mittlerweile nicht mehr an der Uni, aber es gibt neue, motivierte Studierende, welche an der aktuellen Studiumssituation, welche den Studierenden kaum Freiheiten und Raum zum kritischen Denken lässt, etwas ändern wollen, und die #unibrennt-Bewegung weiterleben lassen wollen.
Die meisten der Lebensmittel wurden durch viel Arbeit und mehrere Abmachungen mit verschiedenen Lebensmittelgeschäften, direkt dort abgeholt und gesammelt und in das GeiWi-Max gebracht, wo sich dann jede_r Essen mitnehmen konnte.
Wessen uni? Unsere Uni!