Dieser Text wurde in der aktuellen UNIpress Ausgabe veröffentlicht.
Aristoteles, Platon, Galileo Galilei und Humboldt sitzen an einem Tisch in einer Taverne. Hier treffen sie sich oft zum wohlverdienten Feierabendvierterl. Die Taverne ist nur wenige Gehminuten von der Akademie entfernt und hat einen wunderschönen Gastgarten mit Blick auf den Marktplatz.
Heute haben sie den Unterricht fast gleichzeitig beendet. Jeder von ihnen unterrichtet je sieben Schüler und sieben Schülerinnen. Am Anfang eines jeden Jahrganges bewerben sich die jungen Menschen um einen Platz an der legendären Akademie, die es zu einer unvergleichlichen Bekanntheit geschafft hat. Ein jeder möchte hier studieren.
Könige, Fürsten, Grundbesitzer, Industrielle und andere Menschen, die auf die Glücksseite gefallen sind, träumen davon ihren Nachwuchs hier unterzubringen und in die Lehre schicken zu können. Kein anderer Ort bietet so viel Austausch, so viel Inspiration, so viel Wissen und Expertise wie die Akademie mit ihrem Studium generale. Die Denker, die hier unterrichten, zählen zu den größten ihrer Epochen. Klangvolle Namen, die dafür berühmt wurden die Konventionen hinter sich zu lassen, sie sogar zu verabscheuen und wie es heute so schön heißt – out of the pocket zu denken. Dies taten sie alle mit einer solchen Konsequenz und Überzeugung, dass sie nicht selten auf Gegenwehr stießen, verleumdet wurden, beschimpft und belächelt. Doch der Gegenwind war ihr Auftrieb, die Skepsis der Leute ihre Motivation sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Es hat sich gelohnt. Heute sind ihre Namen auf der ganzen Welt bekannt. Ihre Überlegungen sind zu Gesetzen geworden, zu Geboten, zu fixen Bestandteilen des wissenschaftlichen Diskurses, zu Lerninhalten und Lehrgrundlagen. Auf ihren Gedankenkonstrukten bauten Generationen nach ihnen neue Modelle, neue Erkenntnisse. Wer ein Exemplar des anderen Geschlechts beeindrucken oder in einer Diskussion möglichst intelligent wirken will, der zitiert ihre Namen und Werke. Sie sind die Popstars der Wissenschaft, die Helden des freien Denkens, Pioniere der Erkenntnis und der Idee.
Trotz allem sind sie bescheiden geblieben. Jeden Tag, jahrein, jahraus, kommen sie in die Akademie, besuchen das Forum und teilen ihr Wissen, in der Hoffnung die Welt nach ihnen, die kommenden Generationen ein wenig zu erhellen und dazu zu ermutigen, sich selbst gerecht zu werden und deshalb eigenständig zu denken und zu handeln. Sie alle sind der Ansicht, dass im Wissen Macht liegt, dass nur derjenige, der sich, sein natürliches und sein soziales Umfeld kennt, ein gerechter Mensch, ein wertvoller Teil des Ganzen sein kann. Das versuchen sie zu vermitteln, mit Nachdruck und Geduld. Gefühlt – seit einigen Jahrhunderten.
Wie so oft, sitzen die vier auch heute wieder an dem Tisch. Es ist bitterkalt. Es ist Winter. Es ist ein Tag im Dezember. Sie zittern. Äußerlich und innerlich. Auch wenn der Tag in der Akademie ein schöner war und die Schüler aufmerksam, schauen die vier traurig drein, niedergeschlagen. Ein dunkler Schatten liegt über ihren Augen. Alle schweigen. Sie schweigen lange. Sie starren. Ein jeder, gedankenverloren, in das Glas vor ihm. Fast so als läge an dessen Grund die Lösung für das verlorene Glück. Sie schweigen noch länger. Bis Platon sein Wort erhebt.
Platon: Männer. So kann das nichts werden. Wir müssen sprechen, streiten, reden. Wir müssen diskutieren, argumentieren, lügen, tricksen, täuschen. Wir müssen uns austauschen. Nur so kommen wir der Lösung nahe. Es ist wahrlich ein trauriger Tag. Ein Schlag zwischen die Beine. Ein Schlag mitten ins Gesicht. Ins unser aller Gesichter. In die Gesichter der Lehrenden und in die Gesichter der Lernenden. In das Gesicht der Wissenschaft, wenn ihr so wollt. Und ich gehe noch weiter. Es war ein Schlag in das Gesicht der Zukunft. Ein Schlag in das Gesicht unser aller Zukunft.
Aristoteles: Du hast Recht, Meister. Du hast Recht. Jahrtausende war ich der festen Überzeugung, es ginge um Glück. Ich dachte mir immer, unser aller Dasein diene dem einen großen Ziel – dem guten Leben. Ich war mir sicher, das gelte für jeden Einzelnen und für die Gemeinschaft. Doch als uns heute diese Nachricht erreichte, mussten mich meine Schüler davon abhalten, die alten Schriften in der Luft zu verbrennen. Sie taugen nichts. Sie sind widerlegt. Ein für allemal zu Nichte gemacht. Sie entbehren jeder Logik. Die Logik. Die Logik, sie ist dahin. Was bleibt? Das Leben. Eine einzige Tragödie.
Galilei: Wahre Worte meine Freunde. Wir befinden uns in einer Schieflage. Unser Denken, unsere Bildung, unsere Werte. Sie sind dem Verfall preisgegeben. Man hat sie auf die schiefe Ebene gelegt und wundert sich, dass es nur bergab gehen kann. Es sind solche Narren am Werk. Solche Narren, die die Freiheit der Wissenschaft fallen gelassen haben, schneller als ein Elefant im freien Fall. Solche Narren, die die Wissenschaft, unsere Kunst, in Ketten gelegt haben. Solche Narren, dass ich mir sicher bin, nur eines bewegt sich trotz akutem Vakuum schneller in Richtung Boden, unsere Bildung. Unser Ideal.
Humboldt: Mein großer Traum war immer die völlige akademische Freiheit. Die Loslösung vom Staat. Dass jedoch einmal ein schlimmerer Herrscher kommen könnte, damit habe ich nicht gerechnet. Die freie Bildung, sie ist tot. Zu Grabe getragen in Bologna und Wien. Zu Grabe getragen, exhumiert und geschändet in einer jeden Einrichtung die Wissenschaft und freies Denken, durch wirtschaftliche Interessen zu lenken versucht. Geschändet auch durch jene, die die Wissenschaft dieser Qual ausgesetzt haben.
Aristoteles, Platon, Galileo Galilei und Humboldt sitzen an einem Tisch und trauern. Es ist der 16. Dezember 2013. Ein weiterer, trauriger Tag für die Bildung.
Diesen und noch viel spannendere Texte findet man in der aktuellen Ausgabe der UNIpress. Hier zum Nachlesen.