Die Republik Österreich, dieser Ausbund an Frugalität, Meisterin in der effizienten Verteilung von öffentlichen Geldern, will sich keinen Luxus mehr leisten. Das klingt ja erstmal fast sympathisch, Bescheidenheit ist überhaupt eine politisch korrekte Tugend, überdies bleibt mehr Geld für das wirklich Notwendige. Aber was sind denn die konkreten Bereiche, in denen wir zu Unrecht dem Luxus frönen? Das weiß man natürlich nirgends so gut wie im Wirtschaftsressort – die Antwort gibt Minister Mitterlehner höchstpersönlich: Wir brauchen keine „Luxusstudien“ mehr! Das, was die Universitäten nicht ohnedies an die Fachhochschulen übergeben können – selbstredend bei gleichbleibender Qualität – müssen wir radikal auf Zweckmäßigkeit untersuchen. Damit es dann nicht am Ende heißt, die Bildung, in die wir investieren, würde unserer Wettbewerbsfähigkeit nichts Gutes tun.
„Braucht“ es die Geisteswissenschaften?
An der Universität Innsbruck sehen wir schon lange dabei zu, wie das stetig wachsende Budget auf eine Weise verteilt wird, dass niemand auf die Idee kommt, man würde sich hier dem Wahren, Guten oder auch nur Schönen verpflichtet fühlen.
Die Vergleichende Literaturwissenschaft ist schon lange kein eigenständiges Institut mehr, die Kunstgeschichte kämpft seit Jahren und Jahrzehnten darum, eines zu bleiben, das ehemalige Studium der Altphilologie ist in Verbindung mit Altorientalistik, Archäologie und Alter Geschichte zu einem bunt gescheckten Bachelor geworden, von dem keiner weiß, was er eigentlich genau sein will.
Nein, eine „Streichorgie“ wollen wir natürlich nicht, meint unser Wissenschafts- vulgo Wirtschaftsminister. Nur das Überflüssige wollen wir streichen – das kann uns ja wirklich niemand übel nehmen. So muss wohl auch das Klagenfurter Mathematikstudium (nur zufällig eines der „MINT-Fächer“) mit dem Todesstoß rechnen, aber natürlich haben sich vor allem geisteswissenschaftliche Studien stillschweigend in Luft aufzulösen.
In Innsbruck betrifft das im Moment etwa ganz konkret das international renommierte Institut für Christliche Philosophie, dem wir unter anderem unseren hochgeschätzten AFEU-Kolumnisten Martin Kolozs verdanken, und auch das zweite, neuere Philosophie-Institut am Innrain. Denn wozu um alles in der Welt braucht es an einer Universität heute zwei Philosophiestudien an zwei unterschiedlichen Einrichtungen, vor allem wo doch eins, so die Fremdwahrnehmung, ohnehin weit entfernt von weltanschaulicher Neutralität ist?
Die Wahrheit ist: Wir brauchen sie nicht! Sie lassen sich weder ökonomisch noch politisch noch sonst wie zweckrational rechtfertigen. Wir haben bei Gott andere, dringendere, sehr finanzierungsbedürftige Anliegen und Probleme. Die Welt jenseits der Universität ist chaotisch, krisengebeutelt und überfordert – ohne Aussicht auf Besserung. Wir brauchen sie nicht! Wir müssen als Spezies (verdammt!) zusehen, wie wir die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte halbwegs unbeschadet überstehen. Oder etwa nicht?
Der Mensch, so wie ich ihn kenne, ist aber nichtsdestoweniger ein Wesen, das nicht nur daran interessiert ist, dass es überlebt, sondern auch daran, auf welche Weise es überlebt. Jegliche Kultur, und damit alles spezifisch Menschliche, ist im Kern zutiefst überflüssig. Kunst ist überflüssig, Design ist überflüssig, Sprache in ihrer uns bekannten Komplexität ist überflüssig, Journalismus ist überflüssig. Politik ist im Letzten überflüssig. Ja, auch Philosophie ist überflüssig. Aber ich würde in einer Welt ohne sie nicht leben wollen.
Friede den Säulenhallen, Krieg den Laboren?
Natürlich können wir die begrenzten, aber vielfältigen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, zu übergroßen Teilen in eine dem Anschein nach ziemlich ziel- und visionslose Innovationsdynamik verpulvern, in der Hoffnung, dass sich die Probleme und Aporien des modernen Lebens auf diese Art von selbst lösen.
Wir können verlangen, dass sich Wissenschaft primär der Quantifizierung (von Kapital, von Produktivität, von Strategien aller Art, von Lebensjahren,…) verpflichtet fühlen soll, und die Förderungen für genau jene Institutionen quantifizieren, die diesem Imperativ gehorchen; die mit großer Bereitwilligkeit ihren zweifelhaften impact erhöhen; die die Qualität ihrer theoretischen Fundamente auf dem Altar der praktischen Anwendbarkeit opfern; die zwar ein Vielfaches von zwei ohnehin sehr mickrigen Philosophieinstituten kosten – oder tun die Ressourcen, die für Gedankenexperimente draufgehen, der Republik wirklich so sehr weh? – aber eben auch in schön regelmäßigen Abständen schön verwertbare Forschungsergebnisse ausspucken.
Heißt es jetzt also: „Friede den Säulenhallen, Krieg den Laboren“? Nein, keineswegs! Es gibt ohne jeglichen Zweifel völlig (zweck-)freie, leidenschaftliche Naturwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Ingenieurwissenschaft, Bionik, etc., und das im großen Stil.
Wir brauchen ein breites Forschungsspektrum mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, Perspektiven und Anliegen. Das brauchen wir nicht nur weil es – seien wir realistisch – eine Reihe ganz konkreter, existenzieller Probleme gibt, an die wir nun mal die hard sciences ranlassen müssen, sondern auch, weil jede Wissenschaft dazu beiträgt, dass wir uns als Menschen unseres Platzes auf dieser Welt immer neu bewusst werden (manchmal vielleicht schmerzlich bewusst – auch dafür kann Wissenschaft da sein). Und das kann, meine ich, nicht allein mit Blick auf die Anforderungen der Zukunft gelingen. Wir sind als Menschen immer und von Anfang an in ein Netz aus Verflechtungen eingebunden, das lange vor uns bestanden hat und (durch unser Zutun) auch nach uns noch bestehen wird – und ohne dieses Netz bleibt von unserer individuellen und kollektiven Identität nicht mehr viel übrig. Das hat ganz sicher nicht nur mit Tradition um der Tradition willen zu tun – obwohl ich doch fragen muss, ob unsere alte Jesuitenuniversität, deren erster Kurs bekanntlich im Fach Logik abgehalten wurde, heute allen Ernstes und ausgerechnet ihrer Theologischen Fakultät die Loyalität aufkündigen möchte.
Der freie Markt der Bildung
Es wäre an dieser Stelle natürlich leicht, auf die Barrikaden zu steigen und „die da oben“ mit (zumindest verbalen) Steinen zu bewerfen, aber die Dynamik, die ich meine, trägt sich doch im Wesentlichen selbst. Auch Bildung ist ein Markt, der Nachfrage braucht, und auf dem Angebote irgendwann zurückgezogen werden müssen, wenn sich niemand dafür interessiert. Aber sie ist auch Angelegenheit des Staates, der einzigen übergeordneten Instanz, die dem Markt nicht uneingeschränkt gehorchen muss – und dieser Staat und seine Repräsentanten wollen unsere Bildung (echte Bildung, nicht Kompetenztraining, nicht HR-Optimierung) kampflos aufgeben, wenn es für einige Zeit nicht genügend Abnehmer gibt?
Da bleibt nur zu hoffen, dass die am meisten Betroffenen, nämlich die (auch künftigen) Studierenden und ihre Lehrenden, nicht kampflos aufgeben, selbst wenn das in letzter Konsequenz heißt, die für alle unangenehme und höchst leidige Debatte um die Studiengebühren neu aufnehmen zu müssen. Denn ganz ehrlich, wollen wir wirklich alles kosten- und herausforderungsfrei bekommen, zu dem Preis, dass wir irgendwann auf einer Stufe mit den Menschen stehen, über die Ray Bradbury (Fahrenheit 451) schreibt: „Es wäre verfehlt, ihnen so glitschiges Zeug wie Philosophie oder Soziologie zu vermitteln, um Zusammenhänge herzustellen. Das führt nur zu seelischem Elend. Wer eine Fernsehwand auseinandernehmen und wieder zusammensetzen kann – und wer kann das heute nicht? – der ist glücklicher als wer das Weltall ausmessen und auf eine Formel bringen will, was sich nun einmal nicht tun lässt, ohne dass der Mensch dabei unmenschlich vereinsamt.“ Ich denke, das wollen wir nicht. Nein, wirklich nicht.
Titelbild: Crushed by reason, (c) kleuske; flickr.com