Ansätze visueller Tabuologie versprechen insofern einen Erkenntnisgewinn, als dass die Logik des Bildes zwar auswählt und rahmt, doch anders als die jeder Verbalisierung immanente Gesetzmäßigkeit es vermag, Ereignis und Erleben des Phänomens abzubilden und als rekurrierende Erfahrungsrepetitorium einzufangen ohne vorab in Begriffsstrukturen übersetzen zu müssen. Diese Unmittelbarkeit zwischen Original und Abbild in der cinematografischen Inszenierung eröffnet auf der Seite des Rezipienten Wirklichkeitsebenen, die im kontextualisierten Wort verloren, verdeckt oder unbestimmt hinter den Buchstaben bleiben.
Angeregt von diesem Gedanken begibt sich Dr. Nadja Maria Köffler 2015 auf die Spur der Tabus und ihrer bildhaften Erscheinung und Übersetzung. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Evi Agostini begründet sie 2016 das Universitäre Forschungsforum Tabuforschung in formalen Bildungskontexten . Beide begleiten im Zuge des Forschungsforums 25 Studierende über zwei Semester bei der Produktion eines studentischen Kurzfilmes. Mit Unterstützung durch den italienischen Künstler Roberto Paci Daló und das Münchener Unternehmen Fricke Film ist der Film schließlich Ostern 2017 im Kasten. Zur Premiere des mit dem Titel „spondeo“ versehene Streifens luden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Filmprojektes am 29.6.2017 ins Künsterhaus Büchsenhausen.
Umrahmt wurde die Erstaustrahlung mit einer festlichen Podiumsdiskussion, begleitet von Speis und Trank, sowie durch musikalische Schmankerl der Tiroler Jazzband Blauton. Die ans Tabu rührenden Großplakate der Veranstaltung verkündeten dazu einen Grenzgang zwischen Bild und Dialog. Geladen waren VertreterInnen aus dem Tiroler Kunstbereich, der AK Tirol, der Caritas, der Psychologischen Beratung und der Österreichischen HochschülerInnenschaft. In der Tat erwies sich besagter Abend als Grenzgang, zumal inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Unausgesprochenen und die formelle Rahmung einen offensichtlichen Spannungsbogen erzeugten: trotz altbekannter akademischer Etikette aus Danksagungen, überbordender Biografisierung und universitärer Hierarchisierung bekam das Prekäre im Schatten der elitären Hallen ein wahrnehmbares Gesicht und wurde erstmals in einem derartigen Kontext zur Disposition gestellt.
Die beiden Forumsleiterinnen Dr. Köffler und Dr. Agostini schafften das Paradox: im feierlichen akademischen Ambiente das Unerwünschte und aus der Öffentlichkeit Verbannte ins Zentrum zu stellen, ohne zum Janus zu werden und den guten Ton zu verlieren. So war es den Podiumsdiskutanten möglich, ehrlich und authentisch am System Universität Kritik zu üben, ohne dass letztere ihr Gesicht verlor bzw. ins schiefe Licht gerückt wurde. Als Fazit des Abends präsentierte sich die Universität zwar als Ort der Etikette, der es sich aber nicht nehmen lässt, immer wieder einer kritischen Konfrontation mit sich selbst gegenüberzutreten.
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