Kuriosität zum Einstieg: Die wenigsten wissen, dass einer der Mitbegründer des modernen wissenschaftlichen Menschenbildes felsenfest an eine vom Körper unabhängige Seele glaubte. Das war Descartes. Was seine Anthropologie und die moderne Medizin gemeinsam haben? Der Körper ist eine höchst komplexe Maschine, in der unzählige Zahnräder ineinander greifen. Wenn sie aufhört zu funktionieren, kann man echt nichts mehr damit anfangen. Ab ins Recycling damit.
Mit oder ohne Eingeweide?
Entsprechend unsentimental ist der moderne Umgang mit dem toten Körper normalerweise. Ein bisschen präpariert wird er ja meistens schon, aber das eher, um einen gewissen Schein zu wahren, bis das Ding dann unter der Erde ist. Das ist unser Zugang. Er trägt aber immer noch gewisse Überreste von deutlich älteren Bräuchen und Ritualen.
In vielen antiken Hochkulturen wurden Leichname ja weder verbuddelt noch verbrannt, sondern sehr sorgfältig behandelt. Das Ergebnis kennen wir als Mumien. Nicht alle waren in der Mumifizierung solche Weltmeister wie die Ägypter – es haben aber auch nicht alle deren kuriose Vorstellungen über das Leben nach dem Tod geteilt. Das ist deshalb ganz gut, weil das konsequente Ausweiden nach dem Ableben doch ein eher makabrer Brauch ist.
Die Praxis der Ägypter ist auch verwandt mit dem, was die Faschisten und Bolschewiki gern mit ihren Toten (Eva Péron, Lenin) machten , anstelle einer Heiligenverehrung. Ungesunde politische Strukturen scheinen die Popularität der Mumifizierung zu befördern. Grundsätzlich lebe ich lieber in einer Demokratie und verwese anschließend frischfröhlich vor mich hin.
Myrrhe und Aloe
Es war aber auch in der antiken jüdischen Tradition zumindest nicht unüblich, die Körper der Toten mit Ölen und Salben zu behandeln, wenn man ihm auch seine Eingeweide gelassen hat. Im Johannesevangelium heißt es, dass auch Jesu Leichnam vor der Bestattung mit „Aloe und Myrrhe“ behandelt worden sei.
Die Aloepflanze, eine große Succulente mit fein duftendem Pflanzengel, stammt aus dem Mittelmeerraum. Sensible Naturen kennen sie aus der Kosmetik, aber da tut man ihr unrecht. Eigentlich lässt sie sich am besten in der Wundheilung einsetzen, weil sie Entzündungen hemmt und zusammenziehend wirkt.
Myrrhe ist das Harz des Balsambaumes, der auch in Nordafrika und dem Nahen Osten heimisch ist. So manchen wird interessieren, dass das Zeug ursprünglich als Aphrodisiakum eingesetzt wurde – es ist also gleichermaßen für den großen wie den kleinen Tod geeignet.
Die Myrrhe wirkt desinfizierend und außerdem blutstillend. Man setzt sie in der Volksmedizin kaum ein, aber es gibt eine Menge Präparate für die Pflege der Verdauungsorgane. Natürlich kann man auch damit räuchern – der Duft des Harzes ist wahrscheinlich einer der Hauptgründe für seine Verwendung in der Einbalsamierung.
Es scheint aber auch so, als hätte man für die Toten treffsicher genau solche Pflanzen verwendet, die zu Lebzeiten eine beträchtliche und vielleicht sogar die richtige Heilwirkung gehabt hätten.
Seit Jahrzehnten wird erforscht, ob die chemische Reaktion von Myrrhe mit Schweiß und Blut das zum Ergebnis hat, was auf dem sogenannte Turiner Grabtuch zu beobachten ist. Die Erkentnisse sind eher ernüchternd. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob die Spuren auf dem Leinentuch von einem Leichnam stammen oder ob sich ein mittelalterlicher Blasphemiker einen kleinen Spaß erlaubt hat. Aber ein wenig Mysterium muss sein, schließlich geht es um den Tod.
Und wozu das Ganze?
Einbalsamierung kann man als Versuch sehen, die hässlichen Auswirkungen des Todes ein wenig hinauszuzögern. Als Weigerung, die unvermeidliche Zersetzung und Auflösung hinzunehmen. Wir tun uns schwer mit dem Tod der anderen und der Aussicht auf den eigenen, und der Anblick der Verwesung hilft dabei nicht besonders.
Die ritualisierte Salbung kann aber auch ein schlichtes Zeichen des Respektes vor einem Körper sein, der einmal gelebt und geatmet hat und davon immer noch Spuren trägt. Diese fast zärtliche Zuwendung zu einem Leichnam ist vielleicht überflüssig und nutzlos, aber sie ist eine sehr natürliche, basale und undistanzierte Art, mit dem Tod umzugehen. Ob sie hilft, ihn zu akzeptieren, sei dahingestellt. Aber man hat zumindest etwas getan.
Titelbild: (c) Selket´s Ägypten