Denken wir kurz an unsere Kindheit zurück. Sofern du lieber Leser nicht gerade 10 Jahre alt bist, gab es damals noch kein Facebook. Und auch kein WhatsApp. Und auch kein Instagram. Noch nicht einmal Mobiltelefone gehörten damals zur Standardausstattung eines normalen Erdenbürgers. Wer sich mit seinen Freunden verabreden wollte, musste nach der Schule einen genauen Zeitpunkt und Ort festlegen, wo das Treffen stattfinden sollte. Wenn etwas schief ging, weil Mama oder Papa auf die Erledigung der Hausaufgaben bestanden, musste man zum Hörer greifen und hoffen, dass das verabredete Gegenüber noch zu Hause und somit erreichbar war. Heikel wurden solche Anrufe meist dann, wenn der Vater des Freundes oder der Freundin abnahm – da konnte man schon einmal ins Stammeln geraten. Fakt ist jedenfalls. Über den Telefonhörer gewann man selten neue Freunde. Die hatte man schon vorher. Seit diverse Social Media Plattformen die Welt erobern, hat sich das geändert. Plötzlich wird das Kommunikationsmittel zum Kuppler. Freundschaften, die online entstehen sind keine Seltenheit mehr. Selbst die Liebe wird mittlerweile via Algorithmus vermittelt. Was das bedeutet, welche Auswirkungen das hat? An der Beantwortung dieser Fragen arbeiten Forscher auf der ganzen Welt. Auch in Innsbruck.
Vom Freundschaftsband zum Friendsrequest
Lorenz Jahn ist selbstständiger Seminartrainer, Social Media Berater, Personalentwickler und Prozessbegleiter. In seiner wissenschaftlichen Arbeit liefert er uns Erkenntnisse über die Entstehung von Freundschaften auf Facebook. Add me! – Vom Freundschaftsband zum Friendsrequest: Über die Entstehung von Freundschaft in Facebook lautet der Titel seiner Diplomarbeit, die im Hamburger disserta Verlag erschienen ist. Wer wissen möchte ob und wie Freundschaften in Zeiten von Facebook und Co. entstehen, muss sich zu allererst die Frage stellen: was ist Freundschaft überhaupt? Der Begriff der Freundschaft ändert sich über die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte immer wieder. Manchmal ist die Freundschaft etwas Ehrenwerteres als die Liebe. Manchmal dient sie politischen Gründen. Selbst der große Platon äußert sich zum Thema und bringt „den Guten“ und „den Bösen“ ins Spiel. Doch was heißt das für uns? Kann etwas Ehrenwerteres als die Liebe wirklich über Facebook gefunden werden?
Der virtuelle Stammtisch und meine Freunde
Ja es kann. Wer Facebook betritt, betritt einen virtuellen Raum, der der Realität gar nicht so unähnlich ist. Dank Algorithmen, Daten-Sammlung und Co. wissen die Digitalisierungsriesen recht genau für was und für wen wir uns im echten Leben so interessieren. Der echte Stammtisch wird um virtuellen und der echte Verein findet sich Dank diverser FB-Gruppen auch im Digitalen wieder. Blasen entstehen. Was das bewirkt, zeigt das extra 3 Magazin recht anschaulich und bissig humoristisch.
Wer virtuell jemanden kennen lernt, freut sich darüber. Eine Kontaktaufnahme war noch nie so niederschwellig und leicht möglich, wie heute. Jemanden einfach mal so anschreiben und sich über gemeinsame Interessen austauschen, wird als angenehm empfunden. Klar. Wer sich in meiner Blase aufhält, wird viel mit mir gemeinsam haben. Sobald der Kontakt aber intimer wird, verlagern wir uns von öffentlichen Diskussionen in den privaten Bereich (PN!). Wer sich auch dort noch angeregt unterhält, wagt meist den Sprung zurück in den Offline-Bereich. Ein Treffen steht an. Immerhin existiert bei vielen noch eine gewisse Rest-Skepsis. Ist mein freundliches Gegenüber, dem ich mehr und mehr vertraue wirklich ein realer Mensch? Ist er der, für den er sich ausgibt? Social proof muss eben doch sein. Und wer genauer hinschaut wird feststellen, wenn aus einer digitalen Bekanntschaft wirklich eine Freundschaft wurde, gab es meist irgendeinen realen, sozialen Anknüpfungspunkt: der Freund eines Freundes. Die Freundin einer Freundin meines Cousins und so weiter und so weiter.
Ungeachtet dessen welche Definition von Freundschaft wir für uns festgelegt haben, bleibt uns ein Treffen in der Realität also nicht erspart. Facebook und Co. erleichtern das Kennenlernen. Sie erleichtern auch das Pflegen von Freundschaften: ein Like hier, ein Comment da. Es spielt auch keine große Rolle wie die Plattform heißt. Aber wer eine echte Freundschaft, die sich auch als solche anfühlt, führen will, der wird den virtuellen Stammtisch auch mal verlassen und sich in ein echtes Lokal setzen müssen. Da schmeckt auch das Bier gleich viel besser.
Anmerkung: 90% der im Text verwendeten Fakten wurden der wissenschaftlichen Arbeit Add me! – Vom Freundschaftsband zum Friendsrequest: Über die Entstehung von Freundschaft in Facebook (Lorenz Jahn, 2015) entnommen. Vielen Dank für das zur Verfügung stellen!